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Interview: Karni Arieli vom Eye Mama Project

Veröffentlicht am 14. März 2025 von MPB

Die BAFTA-nominierte Filmemacherin und Fotografin Karni Arieli ist die Gründerin des Eye Mama Project, einem globalen Kollektiv mit dem Ziel, Fotograf:innen, die sich als Mamas identifizieren, in den Vordergrund zu rücken. Bisher haben 50 Menschen weltweit 50.000 Bilder eingereicht, die die vielfältigen Erfahrungen des Mutterseins zeigen. Das Eye Mama Project bringt jetzt ein Buch auf den Markt – Eye Mama: Poetic Truths of Home and Motherhood –, welches einige dieser Bilder vereint, um die verschiedenen Narrative über die Freuden und Schattenseiten des Elternseins zu zeigen. 

In diesem Interview spricht Karni Arieli über das Eye Mama Project, welches von MPB unterstützt wird. Lies weiter, um mehr zu erfahren.

Ein Porträt von Karni Arieli, die ein schwarzes T-Shirt mit weißer Aufschrift trägt, auf dem steht: “Well-behaved women seldom make history”.

Karni Arieli

MPB: Kannst du uns etwas über das Eye Mama Project erzählen? 

KA: Das Eye Mama Project dreht sich um fotografierende Mamas, die mit einem künstlerischen Auge auf ihr Zuhause, ihre Familie und sich selbst blicken. Ich habe das Eye Mama Project während der Pandemie ins Leben gerufen. Wie alle anderen waren wir auf die eigenen vier Wände beschränkt. Ich habe meine eigenen Kinder und mein Leben zu Hause fotografiert und festgestellt, dass viele andere Fotokünstler:innen und Frauen, denen ich in den sozialen Medien folge, dasselbe getan haben. 

Ich dachte mir: Warum hat es noch nie eine ernsthafte fotografische Studie über das Zuhause gegeben? Warum nicht dieses unglaubliche Portfolio von Frauen und nicht-binären Mamas sammeln, die sich mit Mutterschaft, Selbst und Familie auseinandersetzen? Der Rest ist Geschichte. 

Im April 2021, nach einem Jahr der Planung und Beratung mit befreundeten Künstler:innen, habe ich das @eyemamaproject auf Instagram ins Leben gerufen. Inzwischen haben wir 15.000 Follower und 50.000 Beiträge aus 40-50 Ländern, die den Hashtag #EyeMamaProject teilen.

Ein Porträtfoto von einem Elternteil, das mit zwei Kindern auf einem Holzboden sitzt, aufgenommen von Bri McDaniel

Bri McDaniel

MPB: Welche Ziele verfolgst du mit diesem Projekt?

KA: Als ich mit dem Projekt begann, hatte ich eigentlich kein bestimmtes Ziel. Ich habe einfach diese großartigen Bilder gesehen und begonnen, sie zu sammeln. Ich hatte das Gefühl,  irgendwer musste es tun. Währenddessen hat es sich so angefühlt, als würde mir das Projekt selbst zeigen, in welche Richtung wir gehen sollten. Zuerst war es der Blick von Frauen in ihre Häuser während einer Pandemie, dann die Erzählung von Müttern auf der ganzen Welt – Frauen, die sich selbst, ihre Häuser und Familien betrachten, um zu versuchen, ihre persönliche Geschichte zu stärken. 

Das Ziel ist es, den Blick der Mamas, den Mama Gaze, sichtbar zu machen, d. h. die Geschichten von Frauen und nicht-binären Mamas auf der ganzen Welt, die von Fürsorge, Einfühlungsvermögen, Zuhause und Elternschaft erzählen, zu teilen. Schließlich kann man die Unsichtbaren nicht ermächtigen – durch die Fotografie machen wir Geschichten sichtbar.

Ein Schwarz-Weiß-Foto von einer schwangeren Person, die sich im Badezimmerspiegel fotografiert, während ihre Kinder in der Badewanne sitzen, aufgenommen von Rocio Marin Perez mit einer Canon EOS 6D

Rocio Marin Perez | Canon EOS 6D | Sigma 35mm f/1.4 DG HSM ART | f/2.2 | 1/250 | ISO 1600 

MPB: Was verstehst du unter dem Mama Gaze?

KA: Der Mama Gaze, also der Mama-Blick, ist eine Sammlung visueller Geschichten von Fotograf:innen, die sich als Mamas identifizieren und sich mit sich selbst, ihrem Zuhause und ihrer Familie beschäftigen. Es ist eine sehr persönliche Sichtweise. Es sind persönliche Wahrheiten über das Zuhause und die Fürsorge, über Licht und Dunkelheit und die Fantasie des Alltags. Es ist ein Blick auf das Zuhause, die Kinder und die Mutterschaft – und darauf, was das für uns als Mütter und als Menschen bedeutet. 

Ich sage gerne, dass es beim Eye Mama Project nicht nur um Mutterschaft geht. Es geht um die Menschheit. Wir befassen uns mit dem Konzept der Fürsorge. Wie Poet:innen analysieren wir visuell und emotional, was wichtig ist, was hervorgehoben werden muss und was wir beleuchten müssen. Es gibt viele verschiedene Erzählungen, aber jede ist persönlich und kraftvoll. 

Wir befassen uns mit Themen wie künstliche Befruchtung, Fehlgeburt, Abtreibung, Pflegekinder, Adoption und Stiefkinder. All diese Erzählungen sind entscheidend und wichtig. Wir zeigen das Ungesehene, das Übersehene und das Unterrepräsentierte, um Menschen zu stärken und Geschichten zu teilen.

Ein Elternteil und ein Kind werden von einem hellen Licht angestrahlt, das durch Lücken in einem Vorhang scheint, aufgenommen von Charlotte Yonga

Charlotte Yonga

MPB: Warum ist es deiner Meinung nach wichtig, die Mutterschaft auf diese Weise zu präsentieren?

KA: Jede Gruppe von ungesehenen oder übersehenen Menschen sollte ihre Geschichte mit anderen teilen können und muss hervorgehoben werden. Mutterschaft ist nur eine dieser Erzählungen. Sie ist nur ein Teil eines größeren Konzepts der Menschheit. Indem wir all diese unterschiedlichen Geschichten von Müttern und Vätern zeigen, bringen wir die Menschen dazu, sie zu sehen und sich vielleicht für sie zu interessieren. Wenn wir genau hinsehen und uns mit dem Konzept auseinandersetzen, sind wir vielleicht geneigt, mehr Empathie aufzubringen – und dann Frauen, Pflegepersonen, Eltern und Väter zu stärken. 

Frauen und Pflegekräfte müssen gestärkt werden. Sie sollten nicht für gleichen Lohn, bezahlten Urlaub, Abtreibungsrechte und Kinderbetreuung kämpfen müssen. Das ist wirklich wichtig – vor allem, wenn wir eine gerechte, gleichberechtigte und faire Gesellschaft sein wollen. Das können wir erreichen, indem wir diese Themen hervorheben und sichtbar machen. 

Es ist eine Geschichte, die noch nie zuvor von Frauen, trans- und nicht-binären Mamas erzählt wurde. Es geht um das Unsichtbare, das zum ersten Mal als ein wichtiges Portfolio gesehen wird. Wir müssen darüber nachdenken, was wir ändern müssen und wie wir die Dinge besser machen können.

Ein Elternteil und ein Baby liegen auf einem Holzbett neben einem großen Fenster, aufgenommen von Kana Tanaka

Kana Tanaka

MPB: Kannst du uns etwas über deinen Werdegang in der Fotografie erzählen? Wie hat dieser Weg das Projekt inspiriert?

KA: Ich bin halb britisch, halb israelisch, Mutter und BAFTA-nominierte Filmemacherin und Fotografin. Gemeinsam mit meinem Partner arbeite ich von unserem Studio in Bristol, Großbritannien, aus als Regisseurin. Die Fotografie ist das, was ich liebe und womit ich an der Kunstschule angefangen habe. Ich liebe das visuelle Vergnügen und das visuelle Storytelling. Ich mag diese breite, umfassende, künstlerische und poetische Sichtweise auf das Leben, mit der sich alle identifizieren können. Und ich liebe vor allem Dinge, die man normalerweise nicht sieht, eine neue Perspektive oder einen neuen Blickwinkel – jene Sichtweisen, die man nur mit seinem persönlichen Auge und seiner persönlichen Sichtweise des Lebens teilen kann.

Eine Kamera in der Hand zu halten ist für mich wie eine Superkraft. Es ist ziemlich stark, anderen mitzuteilen, wie man die Welt auf eine so unmittelbare und wirkungsvolle Weise sieht. Filmemachen und Fotografieren gehören zu den mächtigsten Werkzeugen, um die Meinung der Menschen zu ändern, sie zum Fühlen und Denken zu bringen, ihnen Empathie zu vermitteln und sie miteinander zu verbinden. Wenn wir die Welt zu einem besseren Ort machen wollen, wenn wir über die Umwelt, unsere Kinder und die Menschheit nachdenken, wenn wir gleichberechtigter und gerechter sein wollen, dann denke ich, dass Verbindungen zu schaffen, das Wichtigste ist.

Während des Lockdowns habe ich wieder viel mehr fotografiert. Wir konnten nicht mit unserer Crew an Werbespots und Filmen arbeiten. Ich fing ganz automatisch an, zu Hause zu experimentieren und das Licht an der Wand, das gedämpfte Licht auf den Bäumen und meinen müden Partner zu dokumentieren. Ich hielt das Licht auf den Gesichtern meiner Kinder fest, das Chaos, die Sorgen und die Schönheit. Sowohl die kleinen als auch die großen Dinge. Es war eine so monumentale Zeit. Aber seltsamerweise wurden all die kleinen Dinge hervorgehoben – und ich denke, die Fotografie war perfekt dafür.

Ich habe mich dann sehr zu den Arbeiten anderer Frauen hingezogen gefühlt und habe die Details, die unser Leben ausmachen, näher betrachtet. Es sind nie wirklich die großen Dinge, die uns Freude und Schönheit bereiten. Erst wenn wir die kleinen, alltäglichen Dinge aus der Nähe betrachten und sie hervorheben, können wir echte, tiefe und bedeutungsvolle Schönheit finden. Und dann können wir Freude haben, genießen und darauf achten, unser Leben wirklich zu leben, mit Absicht und mit Gefühl, in Verbindung mit anderen und mit uns selbst.

Ich glaube, die Pandemie hat mir geholfen, meine Verbindung zur Fotografie zu erkennen. Und auch meine Verbindung zu anderen Frauen, die während der Pandemie fotografiert haben. Wir haben uns viel über die sozialen Medien ausgetauscht und uns gegenseitig bei der Arbeit unterstützt. Und das hat dann alles zum Eye Mama Project geführt.

Ein Kind mit blauer Gesichtsbemalung steht über einem Baby, das in einem Bett liegt, aufgenommen von Lisha Zulkepli mit einer Canon EOS 700D

Lisha Zulkepli | Canon EOS 700D | Canon EF 50mm f/1.4 USM | f/2.5 | 1/50 | ISO 100

MPB: Wie hast du Bilder für das Buch ausgewählt?

KA: Die Auswahl für das Buch wurde im Rahmen eines offenen Aufrufs getroffen, der freundlicherweise von MPB gesponsert wurde. Wir hatten viertausend Einsendungen von mehr als tausend Fotograf:innen aus aller Welt. Diese wurden von einer Jury aus der Fotobranche geprüft. Diese neun Frauen halfen uns bei der Erstellung einer Longlist, dann einer Shortlist und der Redaktion des Buches. 

Es ist eine schwierige Aufgabe, ein Werk zu kuratieren, das so sehr übersehen wurde. Ich empfinde es als eine große Verantwortung, aber auch als eine Gelegenheit, so viele großartige Frauen und fotografierende Mamas hervorzuheben. Dieses Werk gehört allen Eye-Mamas – es gehört ihnen genauso wie mir. Bei so vielen Geschichten von vielen Frauen und Künstler:innen ist es die kollektive Stimme, die die Macht hat.

Ein Elternteil mit langen braunen Haaren und bunten Aufklebern im Gesicht wird von einem Kleinkind berührt, aufgenommen von Tori Ferenc

Tori Ferenc

MPB: Welche Rolle kann deiner Meinung nach die Fotografie in der Elternschaft spielen?

KA: Ich denke, dass die Fotografie für uns alle eine wichtige Rolle spielt – als Menschen, nicht nur als Mütter. Die Fotografie ermöglicht es uns, zu reflektieren und unsere Sichtweise zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Moment unseres Lebens zu teilen. Sie hebt hervor, wie wir denken und fühlen, und teilt dies mit anderen auf eine sehr unmittelbare und kraftvolle Weise. Als Menschen sind Verbindung und Storytelling in unserer DNA verankert. 

Über manche Themen wird nicht oft genug gesprochen. Vor allem über die Schattenseiten der Mutterschaft, die Kämpfe. Die Fotografie ist also eine großartige Möglichkeit, darauf aufmerksam zu machen. Sie kann dazu beitragen, uns Sichtbarkeit zu verschaffen und die Rechte von Müttern, Pflegepersonen und Frauen zu stärken.

Das Tolle an der Fotografie ist, dass man nicht viel braucht, um sie zu schaffen. Du brauchst nur deinen Blick und eine Kamera. Mit gutem Licht und einem guten Bildausschnitt kann man diese unglaublichen Werke schaffen.

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