
MPB trifft: Fotograf Raphael Schumacher
Veröffentlicht am 22. Juli 2025 von MPB
Raphael Schumacher hat die Arbeit der zivilen Seenotrettungsorganisation SOS Humanity fotografisch begleitet und deren Such- und Rettungseinsätze im Mittelmeer dokumentiert.
Nach seinem Studium an der Folkwang Universität der Künste machte Raphael Schumacher Karriere als Fotograf und arbeitete unter anderem für Marken wie Adidas, Ford und Siemens. Im Juni und Juli 2023 war Raphael für SOS Humanity als Fotograf tätig und hat sich dafür Kameraausrüstung von MPB geliehen.
Das Ziel von SOS Humanity ist es, sicherzustellen, dass kein Mensch auf der Flucht über das Mittelmeer ertrinkt. Außerdem setzt sich die NGO dafür ein, die Würde und grundlegenden Menschenrechte geflüchteter Personen zu schützen.
In diesem Interview teilt Raphael Schumacher seine Erfahrungen an Bord der Humanity 1 und spricht über die Rolle der Fotografie in Krisensituationen. Entdecke im Folgenden seine eindringlichen Bilder.

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm 2.8 | f/2.8 | 1/2500 sec | ISO 250
MPB: Wie siehst du die Rolle von Fotografie bei der Dokumentation von Krisen?
RS: Ich habe mal einen Text zur “Fotografie als Medium in Krisengebieten” geschrieben, in dem ich mich mit der Fotografie als ein komprimiertes Abbild der Wirklichkeit auseinandergesetzt habe. Ich erinnere mich an diesen Text, weil es das ist, was ich schaffen möchte. Das “Einfrieren” des Rettungsvorganges, der Interaktion zwischen Menschen, oder des Lebens an Bord.
Meine gesammelten Fotografien dienen zum Austausch und als Symbol der Erinnerung, die eine Hoffnung sein können, die Welt im Bild verständlich zu machen. Meine mentalen Bilder wandern sozusagen in das technische Medium des Apparates und werden dauerhaft festgehalten.

Sony A7 III | Sony FE 135mm f/1.8 GM | f/2.0 | 1/400 sec | ISO 125

Mamiya Sekor C 45mm 2.8
MPB: Wie sah deine Zeit als Fotograf an Bord aus?
RS: Ich übernahm die Rolle des Augenzeugen und war von der Idee angetrieben, den Platz eines Berichterstatters einzunehmen. Wie die Schriftstellerin Susan Sontag beschreibt: „Fotos von einer Gräueltat können gegensätzliche Reaktionen hervorrufen. Den Ruf nach Frieden. Den Schrei nach Rache. Oder einfach das dumpfe, ständig mit neuen fotografischen Informationen versorgte Bewusstsein, dass immer wieder Schreckliches geschieht.“
Es ist vielleicht etwas naiv gedacht, aber versuchte ich doch genau dieses Mitgefühl zu triggern. Ein Gefühl, das zu einer Handlung transferiert wird. Könnte man es möglicherweise mit einer Eigenschaft von Kriegsfotografien vergleichen? Also, dass das Betrachten dieser Fotografien dazu führt, über gewisse Zu-/Missstände nachzudenken?
Mit dieser Idee, was meine Fotografien sein sollten, wachte ich jeden Morgen auf und fragte mich dann, wann ich das erste Foto machen würde, das diese Eigenschaft innehat. Ein Bild, das keine Erklärung benötigen wird, um decodiert zu werden. Ein Motiv, das nicht zu kompliziert ist, das aber auch nicht zu plakativ erscheint. Ein Bild, das meine momentane Wirklichkeit zeigt und die Betrachter:innen mit an Bord nimmt.

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm 2.8

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm 2.8 | f/2.8 | 1/2500 sec | ISO 250
MPB: Welches Setup verwendest du?
RS: Lange vor der Mission habe ich mir Gedanken über ein mögliches Setup gemacht. Ein Setup, das alles abdecken kann.
Somit entschied ich mich für ein Sony FE 24-70mm f/2.8 GM für meine Sony A7R III als Hauptkamera. Als Zweitkamera half mir glücklicherweise MPB aus. Hier entschied ich mich für eine Sony A7 III mit einem Sony FE 135mm f/1.8 GM von Sony. Eine tolle Kombination, die ich nicht mehr missen will.
Viele meiner Portrait schoss ich zudem mit den alten Mamiya Sekor C-Objektiven, die einen interessanten sowie einzigartigen Look kreieren.

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8
MPB: Wie sah die Zusammenarbeit mit der Crew aus?
RS: Das Leben auf einem Schiff folgt festen Regeln, jede Missachtung führt zu einem Problem. Nicht nur für dich oder die Besatzung, sondern für den ganzen Organismus. Deswegen ist es wichtig, ein gutes Team zusammenzustellen. Ein Team, bestehend aus den unterschiedlichsten Charakteren, die innerhalb weniger Tage wie ein gut geöltes Zahnrad funktionieren müssen.
Jedes Besatzungsmitglied hat eine bestimmte Aufgabe, der nachgegangen werden muss und der vor allem während und nach einer Rettung größte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein Muss ist allerdings auch das Reinigen des Schiffs an jedem Morgen, das Morgenmeeting und das Einhalten der festen Essenszeiten. Ein Schiff – alle helfen mit.

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8 | f/2.8 | 3,2 sec | ISO 5000

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8 | f/2.8 | 1/250 sec | ISO 160
MPB: Aus welchen Personen besteht die Crew des Rettungsschiffes, auf dem du warst?
RS: An Bord der Humanity 1 gibt es professionelle Crew-Mitglieder, die jede Schraube auf dem Schiff kennen und vor allem mechanische Probleme schnell erkennen und versuchen diese noch schneller zu lösen. Ihre Expertise ist für einen Menschen mit zwei linken Händen wie mich bemerkenswert.
Die andere Hälfte der Crew sind Freiwillige wie ich. Neben mir saßen also etliche Menschen, die ebenfalls eine Profession mitbringen müssen. Zum Beispiel, der Arzt Mirko, die Rettungssanitäterin Isa, der externe Journalist Anupam, die Hebamme Marion, die Menschenrechtsbeobachterin Ana, der Dolmetscher Alex, die Psychologin Alice oder der RHIB-Lead Thomas.
[RHIB steht für Rigid-Hulled Inflatable Boat, ein “Schlauchboot mit festen Rumpf”, also die Schnellboote, mit denen die Rettungen durchgeführt werden.]

Sony A7 III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8 | f/2.8 | 1/250 sec | ISO 20.000
MPB: Kannst du uns von einer Rettungsaktion erzählen?
RS: Natürlich. Wir entdeckten gegen Mitternacht ein spitzes Boot aus Metall mit einem unserer Hochleistungsstrahler. Die RHIBs wurden mit gekonnten Handgriffen auf das Wasser gelassen, mit hunderten rot-leuchtenden Rettungswesten beladen.
Als dann das erste der RHIBs das Wasser berührte, stieg die Anspannung spürbar. Denn der Wellengang hatte zwischenzeitlich enorm zugelegt und wir fragten uns, während wir unsere Rettungswesten, Helme und sonstigen Utensilien überprüften, wie viel Zeit uns noch blieb, um alle Menschen von diesem zu sinken drohenden Boot retten zu können.
Neben mir ist mein Team hochkonzentriert, bestehend aus RHIB-Driver, RHIB-Lead, RHIB-Support, Dolmetscher und Journalist. Wir stiegen auf die RHIBs und die Wucht dieses Meeres bekamen wir unmittelbar zu spüren. Wellen peitschten umher.

Sony A7 III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8 | f/2.8 | 1/60 sec | ISO 20.000
Beim ersten Kontakt zum vollbesetzten Segelboot erhaschte ich hilfesuchende Augen, die mich anstarrten. Ein Gedankenfetze kam hoch und ich versuchte diesen umgehend zu analysieren. “Wie voyeuristisch ist es in diesem Moment, den Menschen vor mir meine Kamera ins Gesicht zu halten? Mache ich das Richtige? Soll ich es lieber sein lassen, Bilder aufzunehmen, die Angst und Panik zeigen?”
Ich entschied intuitiv und dokumentiere die Augen der Panik für die Menschen, die sich nicht vorstellen können oder wollen, wie es ist, das Mittelmeer mitten in der Nacht durchkreuzen zu müssen. Sowieso blieb keine Zeit, großen Gedankenspielen nachzugehen.
Aufgrund des starken Wellengangs und des schlechten Zustands des Metallbootes floss uns im wahrsten Sinne des Wortes die Zeit davon. Josh, der Captain, entschied gut überlegt, das Mutterschiff so zu platzieren, dass wir vor den heranstürmenden Wellen geschützt waren. Das gab Stabilität und wir konnten die ersten Menschen retten – Frauen und Kinder zuerst.
Wie geht man mit solchen Eindrücken um? Die Antwort kenne ich nicht.

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8 | f/2.8 | 1/1.000 sec | ISO 200
MPB: Wie sah der Morgen danach aus?
RS: Ich wachte auf, kletterte meine Leiter vom Hochbett hinunter und bewegte mich umgehend zum Teeraum des Schiffes. Jeden Morgen machte ich Tee für 200 Menschen. So kam ich zwangsläufig in Kontakt mit den Überlebenden, die mir ihre Geschichten anvertrauten.
Nach dem Mittagessen breitete sich ein wenig Ruhe aus, bevor Aktivitäten wie Gesellschaftsspiele, gemeinsames Tanzen, Singen oder Malen begannen. Die Stimmung war ausgelassen.

Sony A7R III | Mamiya Sekor C 45mm f/2.8 | f/2.8 | 1/640 sec | ISO 800
Das Beobachten dieser positiven Stimmung allein führte zu einer guten Grundstimmung in mir und bestätigte mein Gefühl: Du bist am richtigen Ort.
Weitere spannende Interviews findest du auf dem MPB-Blog.
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