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Schwarz-Weiß-Foto von zwei Schlittenhunden, einer mit schwarzem Fell links im Bild, einer mit weißem Fell rechts im Bild, im Hintergrund Schneelandschaft mit zwei kleinen Erhöhungen, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

“Where the world is melting” mit Ragnar Axelsson

Veröffentlicht am 19. Dezember 2024 von MPB

Ragnar Axelsson zählt zu den bekanntesten Fotografen des Nordens. Seit über vier Jahrzehnten hält er die besondere Schönheit und Zerbrechlichkeit der arktischen Regionen fest und dokumentiert gleichzeitig die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise. Er wurde dafür bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und seine Arbeit in Büchern, Zeitschriften sowie Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt.

Zwischen 1976 und 2020 arbeitete Ragnar Axelsson als Fotojournalist für Islands populärste Zeitung, Morgunblaðið. Für seine Arktisfotografie wurde Ragnar Axelsson außerdem mit Islands höchstem Verdienstorden, dem Falkenorden, geehrt.

Ragnar Axelssons Retrospektive "Where the World is Melting" zeigt beeindruckende Schwarz-Weiß-Bilder von Menschen, Tieren und Orten in Island, Grönland, Sibirien und darüber hinaus in den Deichtorhallen in Hamburg. MPB unterstützt diese Ausstellung in Partnerschaft mit den Deichtorhallen. 

Im folgenden Interview spricht Ragnar Axelsson über sein Heranwachsen in Island, seine Leidenschaft für die Fotografie und darüber, welche Rolle Fotograf:innen dabei spielen, das Bewusstsein für die Klimakrise zu schärfen. Lies weiter, um von Ragnar zu hören, und sieh dir seine Arbeit an.

Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Mannes mit vielen Schlittenhunden, die im Schnee liegen, an Leinen, im Hintergrund eine Eishöhle mit Eiszapfen, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Was hat dich dazu inspiriert, Fotograf zu werden?

RA: Ich habe bereits mit acht Jahren mit der Kamera meines Vaters Fotos gemacht. Ich bin auf einer kleinen, abgeschiedenen Farm an der Südküste Islands aufgewachsen. Ich hatte dort eine großartige Zeit. Bilder von den Menschen auf der Farm, den Vögeln, den Landschaften und den Gletschern zu machen, hat mir großen Spaß bereitet. Dieser magische Moment, wenn man die entwickelten Bilder zum ersten Mal sieht – das ist etwas, das man in Zukunft immer wieder machen möchte.

MPB: Du hast also mit der analogen Fotografie begonnen und bist dann auf digitale Fotografie umgestiegen?

RA: Ich mache immer noch beides. Die Digitalkameras heutzutage sind so gut. Ich habe aber in Dunkelkammern mit Film begonnen. Als ich das erste Mal drei Wochen in Grönland war, hat es danach einen Monat gedauert, bis der Film entwickelt war. Das ist wie das Warten auf Weihnachtsgeschenke. Und du fragst dich die ganze Zeit: Sind die Bilder überhaupt was geworden? Mit einer Digitalkamera sehe ich das jetzt sofort.

Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Eisbergs im Meer, bewölkter Himmel, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson
Schwarz-Weiß-Foto von zwei Schlittenhunden, einer mit schwarzem Fell links im Bild, einer mit weißem Fell rechts im Bild, im Hintergrund Schneelandschaft mit zwei kleinen Erhöhungen, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: War es für dich immer klar, dass du Fotograf werden möchtest?

RA: Ich wollte eigentlich Pilot werden und habe auch das Fliegen gelernt, aber es gab damals keine freien Stellen. Also wurde ich Fotograf bei einer Zeitung. Und das war ein sehr gutes Training, denn du wusstest nie, wo es an dem Tag hingehen würde, es war immer ein Abenteuer. Aber irgendwann ging es in den Zeitungen immer mehr darum, berühmte Menschen zu fotografieren, die selber nicht mal wussten, wieso sie berühmt sind. Da hat mir das Fotografieren dann nicht mehr so viel Spaß gemacht. Denn am besten ist es, bescheidene Menschen zu fotografieren. Sie können viel mehr über ihre Umgebung erzählen. Wenn du einen Film ansiehst oder Talkshows mit den Schauspieler:innen, werden diese oft als echte Held:innen dargestellt, aber die wahren Held:innen sind draußen in der echten Welt.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von vielen Schlittenhunden, die einen Schlitten ziehen, in dem eine Person sitzt, bei Vollmond, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Denkst du, dass auf einer Insel zu leben, deine Art zu arbeiten beeinflusst hat?

RA: Ja, ich denke schon. Denn in Island bist du in gewisser Weise Teil der Natur. Du bist immer draußen unterwegs, auch bei schlechtem Wetter. Das macht dich härter und du hast keine Angst mehr vor dem Wetter. Ich habe mich immer ein bisschen wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel gefühlt. Niemand weiß, wer du bist. Du kannst einfach dein Ding machen. Und wenn jemand nichts davon wissen will, ist das okay. Du spielst ja auch nicht für Kühe Gitarre, die können nicht klatschen, also spielst du das Lied für jemanden, der es versteht. Das beschreibt meine Mentalität ganz gut, denke ich. Ich mache einfach das, von dem ich das Gefühl habe, es tun zu müssen und das ist, die Zustände in der Arktis zu dokumentieren. 

Die Arktis ist ein schwieriges Pflaster. Es ist so kalt, und du brauchst eine Menge Leidenschaft. Ich bin wie viele andere Fotograf:innen auch mal nach Afrika gegangen, um Fotos zu machen, aber ich hatte das Gefühl, dort alle nur zu kopieren. Also wollte ich mich umorientieren. Ich bin in der Kälte aufgewachsen, das liegt mir also auch besser. Du musst deinem Herzen folgen, wenn du das Gefühl hast, dass du etwas tust, was eine Bedeutung hat, auch wenn es vielleicht erst in 100 oder 200 Jahren mehr Bedeutung hat als heute. Denn manche der Dinge, die ich getan habe, können so nicht wiederholt werden. Es ist wie bei Malern aus dem 16. oder 17. Jahrhundert. Die  wurden damals auch nicht so hoch geschätzt wie heute.  

Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem Schlittenhund im Vordergrund rechts im Bild mit weit aufgerissenem Maul, im Hintergrund Häuser im Nebel, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Gibt es einen bestimmten Moment, in dem du realisiert hast, wie schwerwiegend die Klimakrise ist?

RA: Angefangen hat das bereits im Alter von 10 Jahren, als ich Bäuerinnen und Bauern auf dem Feld fotografiert habe. Da habe ich mich gefragt, wie es wohl in 50 oder 100 Jahren dort aussehen wird. Ich habe über die Zeit auch beobachtet, dass sich Dinge verändert haben. Aber so richtig bewusst wurde es mir 1985, als ich im nördlichsten Dorf Grönlands, in Thule, war und ich dort einen alten Mann sah, der draußen saß, die Luft schnupperte und sagte, dass etwas nicht stimme. Dass es nicht so sein sollte. Das war ein Moment, in dem es mir dämmerte, dass die Menschen hier gewissermaßen auf den Seiten laufen, die wir in den Büchern lesen. Sie sind also Teil des Buches, Teil der Geschichte. Da habe ich begonnen, mir die Dinge genauer anzusehen und alles zu dokumentieren, was sich verändern könnte. 

So zum Beispiel das Eis in der Arktis. Ich kann eine Geschichte darüber erzählen, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt noch sicher war, darauf zu laufen, inzwischen ist es überhaupt nicht mehr sicher und in 20-30 Jahren fährst du dort mit dem Boot. Manche Gebiete verändern sich also wirklich drastisch.

Schwarz-Weiß-Luftaufnahme eines kleinen Flugzeugs von oben, das Flugzeug spiegelt sich in einem kleinen See darunter, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Welche Rolle spielen Fotograf:innen bei der Dokumentation des Klimawandels?

RA: Sie spielen eine große Rolle. Ich glaube, dass Fotos bereits die Welt verändert haben oder Menschen die Augen geöffnet haben, wie das Bild von dem Mädchen, das in Vietnam vor einer Bombe wegläuft. Das hat den Krieg verändert. Und es gibt noch viele andere Bilder, wie das vergiftete Wasser in Minamata, aufgenommen von Eugene Smith. Solche Fotos und Geschichten verändern Dinge.

Und ich versuche einfach die Menschen auf das Leben in nördlichen Regionen aufmerksam zu machen und dass sich die Menschen dort Sorgen machen und auch eine Chance bekommen sollten. Viele sagen, dass sie damit nichts zu tun haben und dass das alles woanders auf dem Planeten passiert. 

Ich möchte aber nicht predigen, ich überlasse es den Wissenschaftler:innen uns zu erzählen, was genau passiert. Aber ich denke, es ist sehr wichtig, die Veränderungen zu dokumentieren, denn Dinge verändern sich wirklich, ich habe es selbst gesehen und sehe es auch nach wie vor. Wissenschaftler:innen haben aber natürlich viel mehr darüber gelernt und können die Umstände viel akkurater beschreiben. Dennoch sind Fotografie und Videografie sehr wichtig, denke ich. In den kommenden Jahren werden alle Augen auf Island und den Norden generell gerichtet sein.

Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Berglandschaft mit großem Bogen im Hintergrund, in der Mitte des Bildes steht eine Person, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Welches Equipment verwendest du? Wechselst du deine Ausrüstung oft?

RA: Leica! Ich verwende diese Marke schon mein ganzes Leben lang und finde die Qualität absolut großartig. Ich habe sie schon bis -53°C verwendet. Ich habe dann allerdings immer eine Menge Batterien dabei, weil sie so schnell leer gehen. Ich habe meine Kamera schon ins Meer fallen lassen und sie hat trotzdem noch funktioniert. Ich bin wirklich dankbar, dass ich diese Marke verwenden kann. Es ist wie als Fan einer Musikgruppe oder eines Fußballclubs – diese Liebe bleibt für immer bestehen.

Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Person vorne links im Bild, die nach rechts blickt, im Hintergrund Berge und Meer, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Wie sieht dein kreativer Prozess aus? 

RA: Ich habe keinen speziellen kreativen Prozess. Ich habe aber immer das Gefühl, etwas tun zu müssen. Ich versuche immer, mindestens ein gutes Foto aufzunehmen. Das ist eine lebenslange Aufgabe. Das wird mich mein Leben lang antreiben. Ich vergleiche Fotografie auch immer gerne mit Musik. Paul McCartney hat zum Beispiel ein Lied geschrieben, inspiriert von einem Lied, das er im Radio gehört hatte. Sein Lied klang dann aber ganz anders. Genauso lasse ich mich von anderen Fotograf:innen und Künstler:innen inspirieren. Und dann versuche ich, das zu machen, was sich gut anfühlt. Ich habe aber auch diesen Drive, etwas machen zu müssen. Und dabei ist es auch immer wichtig, bescheiden zu bleiben. Wenn du das Gefühl hast, dass du gar nicht mehr rausgehen musst, weil du so großartig bist, dann war’s das.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von zwei jungen Pferden und einer Person, die sich zu einem Pferd herunterbeugt, vorne im Bild am Ufer eines großen Gewässers stehend, das sich über den Rest des Bildes erstreckt, im Hintergrund Berge. Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Was waren die größten Herausforderungen in deiner Karriere bis jetzt?

RA: Den größten Herausforderungen begegne ich immer, wenn ich unterwegs bin, zum Beispiel im Eismeer. Zieht ein Sturm auf, der die Rückfahrt erschwert? Wird es sehr kalt, werden die Kameras funktionieren? Ich bin auch schon in sehr schlechtem Wetter geflogen, manchmal musste ich wirklich kämpfen, um wieder zurückzukommen. Aber je älter du wirst, desto vorsichtiger wirst du. Als junger Mensch denkst du noch, du wärst unsterblich, unbesiegbar. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, fällt mir wirklich auf, dass ich eine Menge dumme Dinge getan und sehr oft gegen die Elemente gekämpft habe.  

Die extreme Kälte ist häufig auch eine große Herausforderung. Wenn du dicke Handschuhe trägst, ist es sehr schwierig, Fotos zu machen. Deine Augen tränen, du musst aber sehen, was du fotografierst. Es kann also sehr herausfordernd sein.

Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Person auf einem Schlittenhund im Vordergrund, im Hintergrund die Schlittenhunde von hinten, die den Schlitten über eine verschneite Landschaft ziehen, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Hast du auch schon mal gedacht, dass es alles zu viel wird? Wenn ja, hast du Tipps, wie man trotzdem weitermachen kann?

RA: Aufgeben ist für mich nie eine Option. Ich wäge aber schon ab, ob es Sinn ergibt, bestimmte Orte zu bereisen, um dort Fotos zu machen. 

MPB: Hast du Hoffnung, dass wir die Klimakrise noch irgendwie abschwächen können? 

RA: Nun, unser Planet erwärmt sich, so viel steht fest. Er hat sich schon einmal erwärmt, dann wurde es wieder kälter und wieder wärmer. Ich weiß es also nicht, die Wissenschaftler:innen werden es uns sagen müssen. Aber wir als Menschen verschmutzen definitiv zu viel. Wir müssen also vorsichtig sein. Ich glaube aber fest daran, dass wir das noch irgendwie hinbekommen. Wissenschaftler:innen forschen mit größter Geschwindigkeit und werden immer mehr Informationen haben. Wir sind aber auch 8 Milliarden Menschen auf der Erde, das ist ganz schön viel. 

Ich höre den Wissenschaftler:innen zu und lese viel, und ich denke, dass sie mehr gehört werden müssen. Mit Hilfe unserer Bilder können wir ihnen eine Stimme geben. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig.

Stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Aufnahme einer eisigen Berglandschaft mit Nebel, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson
Schwarz-Weiß-Aufnahme von Schlittenhunden, die im Schnee liegen und schlafen, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

MPB: Woran arbeitest du im Moment?

RA: Ich arbeite mehr oder weniger ausschließlich am Arktis-Projekt. Ich möchte darin zum Beispiel zeigen, dass viele Menschen ihre Dörfer verlassen müssen, weil sie nicht mehr genug jagen können. Sie müssen dann in größere Städte ziehen. Das ist interessant zu fotografieren, weil es wirklich im Moment passiert und die Bilder zeigen, warum sie gehen. Das ist also ein Teil des Projekts. Und diese Ausstellung ist auch ein Teil dieses Projekts. Ich decke alle acht arktischen Länder ab, es ist eine Reise in all diese Länder. Sie sind alle sehr unterschiedlich, aber sie haben auch viel gemeinsam. Sie haben alle die gleichen Probleme. Das Eis schmilzt schnell. Deshalb sterben jeden Tag viele verschiedene Spezies aus oder werden krank. Die Welt verändert sich wirklich. Es gibt allerdings viele Menschen, die denken, dass nichts passiert, und das ist sehr gefährlich.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von zerstückelten Eisplatten, die auf dem Meer treiben, von oben fotografiert, Foto aufgenommen von Ragnar Axelsson

Die Ausstellung “Where the world is melting” von Ragnar Axelsson war von März bis Juni 2023 im Ausstellungsraum Phoxxi der Deichtorhallen in Hamburg, in Zusammenarbeit mit MPB, zu sehen. 

Weitere Interviews findest du auf dem MPB-Blog.

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