
“Flora Obscura”: Interview mit Jennifer Markwirth
Veröffentlicht am 17. März 2025 von MPB
Schätzungen zufolge gibt es zwischen 20.000 und 60.000 essbare Pflanzen und 2.000 essbare Pilze weltweit. Im Botanischen Kabinett der essbaren Pflanzen sind viele davon bereits zu sehen – fotografiert von Jennifer Markwirth, die das Projekt “Flora Obscura” ins Leben gerufen hat.
Jennifer Markwirth hat es sich zur Aufgabe gemacht, so viele essbare Pflanzen wie möglich ausfindig zu machen und auf höchst ästhetische Art und Weise zu fotografieren – “wie kostbare Juwelen auf schwarzem Samt”.
Wir haben Jennifer beim Umweltfotofestival in Zingst getroffen, wo ihr Projekt “Flora Obscura” in Medienkooperation mit dem Magazin Stern ausgestellt wurde. Nun zu dir, Jennifer.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Kannst du uns etwas zu deinem Werdegang erzählen?
Ich habe zunächst als Grafikerin in einer Werbeagentur gearbeitet. Als ich dann die sehr spezielle Ausbildung zur Technischen Assistentin für naturkundliche Museen und Forschungsinstitute am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt entdeckt habe, wollte ich das unbedingt machen, da mich naturkundliche Sammlungen und Sammlungen aller Art schon sehr lange fasziniert haben.
Nach Abschluss der Ausbildung habe ich dann viele Jahre als Laborantin und Sammlungsbetreuerin an der Goethe-Universität und am Senckenberg Forschungsinstitut gearbeitet. 2012 habe ich damit begonnen, essbare Pflanzen zu fotografieren.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Wie bist du zu deinem Projekt “Flora Obscura” gekommen?
Es hat vielleicht mit meinem Schritt zum Veganismus angefangen. Im Zuge dessen habe ich mich sehr viel mit pflanzlicher Ernährung beschäftigt und zu meiner Überraschung festgestellt, dass mein Speiseplan nicht schmaler wurde – sondern um einiges größer.
Über meine Arbeit habe ich dann Zugang zu umfangreichen botanischen Vergleichssammlungen bekommen, wodurch sich eine große Welt an Nutzpflanzen eröffnet hat, die ich überhaupt nicht kannte. So wuchs mein Interesse an der essbaren Pflanzenwelt noch weiter.
Mit meinem Projekt “Flora Obscura” möchte ich die große Vielfalt essbarer Pflanzen zeigen und darauf aufmerksam machen, was die Pflanzenwelt neben den allseits bekannten Nutzpflanzen alles zu bieten hat.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Wie wählst du die Pflanzen aus, die du fotografierst?
Ich wähle die Pflanzen nach ästhetischen Aspekten aus. Wenn ich ein schönes Exemplar finde, sei es am Wegesrand, in einem botanischen Garten oder im Supermarkt, dann nehme ich sie mit – wobei das im Falle von (botanischen) Gärten natürlich immer in Rücksprache mit den Institutionen bzw. den Gartenbesitzer:innen geschieht. In fast jedem Jahr entwickeln sich aber aus verschiedenen Gründen Schwerpunkte: Tomaten, Äpfel, Getreide oder Zitrusfrüchte etwa.
Der Palmengarten und der Botanische Garten in Frankfurt haben mich von Beginn an bei meiner Arbeit sehr unterstützt, worüber ich sehr dankbar bin. Hier bekomme ich häufig Pflanzen zur Verfügung gestellt, die in Deutschland nicht heimisch sind. Einzelne Knollen, Wurzeln usw. suche ich auch gerne in Asia-Läden oder auf lokalen Märkten, wenn ich im Ausland unterwegs bin.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Wie bist du darauf gekommen, die Pflanzen in diesem Stil vor schwarzem Hintergrund zu fotografieren?
Als ich das Projekt begonnen habe, war mein Ziel, ein riesiges Stilleben mit allen essbaren Pflanzen zu erstellen. Mir wurde allerdings schnell klar, dass das aufgrund der Fülle an Pflanzen und unterschiedlichen Blüte- und Reife- bzw. Erntezeiten nicht realisierbar ist.
Deshalb habe ich begonnen, meine Motive separat zu fotografieren. Dazu wollte ich alle Pflanzen einheitlich fotografieren, mit gleichem Hintergrund, gleicher Beleuchtung und gleicher Schärfe. Anfangs habe ich die Bilder noch nicht mit so viel ästhetischem Anspruch fotografiert, sie hatten eher etwas Dokumentarisch-Einfaches. Sie mussten ja nicht für sich alleine stehen, sondern nur ein winziger Teil von etwas großem Ganzen sein.
Dieses Ziel verfolge ich nicht mehr und inzwischen hat sich auch mein ästhetischer Anspruch verändert. Meine Fotos sollen jetzt eher wie alte botanische Illustrationen oder Malereien der Alten Meister aussehen. Seit der Ausstellung "Cornucopia" im Jahr 2021 stelle ich meine Bilder immer in schwarzen Barockrahmen aus, um diesen Look noch zu unterstreichen. Manche Motive eignen sich jedoch auch für eine moderne Aufmachung, zum Beispiel als großformatige Gallery Prints hinter Acrylglas oder auf Alu-Dibond.
Für den schwarzen Hintergrund habe ich mich entschieden, um Lichtreflexe zu vermeiden, die bei einem weißen Hintergrund gerne auftreten. Vor einem schwarzen Hintergrund leuchten die Farben der Pflanzen außerdem intensiver.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Illicium Verum (Sternanis) | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Welche Kameraausrüstung verwendest du? Und hat sich deine Fotografie im Laufe der Zeit verändert?
Ich fotografiere derzeit mit einer Pentax K1 und einem Pentax SMC DFA 50mm f/2.8 Makroobjektiv, die an einem Reprostativ hängen. Meine Fotos mache ich zu Hause an einem kleinen Schreibtisch oder auf dem Fußboden.
Mein eigener Anspruch an meine Bilder ist stetig gewachsen. Ich orientiere mich an botanischen Illustrator:innen und bin durchaus perfektionistisch veranlagt. Entspricht ein Bild nicht meinem künstlerischen Anspruch, verwerfe ich es auch wieder, selbst wenn ich über Stunden daran gearbeitet habe.
Ich bin immer beim Pentax-System geblieben, meine Ausrüstung ist über die Jahre allerdings professioneller geworden. Vor der K-1 hatte ich unter anderem eine Pentax K-5 und eine Pentax KP. Mit einer Vollformatkamera fotografiere ich noch gar nicht so lange, da ich durch die großen Bildstapel, die ich aufnehme, auch einen leistungsstarken Computer benötige. Diesen Schritt bin ich erst relativ spät gegangen.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Was fasziniert dich an der Pflanzenwelt besonders?
Mich fasziniert besonders, wie viele essbare Pflanzen es gibt, die wir überhaupt nicht kennen oder die uns beispielsweise nur als Gewürze in Pulverform bekannt sind.
Außerdem finde ich es bemerkenswert, dass Pflanzen, die heute zu unseren Grundnahrungsmitteln zählen, wie Kartoffeln und Tomaten, zunächst als reine Zierpflanzen nach Europa gekommen sind. Erst viel später ist man überhaupt darauf gekommen, die Pflanzen auch als Nahrungsmittel zu nutzen.
Genauso interessant finde ich, dass beispielsweise alte Apfelsorten nur noch in heimischen Gärten oder in speziellen Vereinen erhalten werden, da in der intensiven Landwirtschaft nur die immer gleichen Sorten angebaut werden, wodurch die Sortenvielfalt zerstört wird. Aufgrund der Klimakatastrophe könnten diese alten Sorten allerdings in Zukunft wieder wichtiger für uns werden.
Generell finde ich es wichtig, dass wir uns mit den Pflanzen, die uns umgeben, beschäftigen. Löwenzahn kann beispielsweise als koffeinfreier Kaffee-Ersatz dienen. Du kannst also nicht nur die Blätter als Salat verspeisen, sondern aus den gerösteten Wurzeln koffeinfreien Kaffee brühen. Es gibt auch sehr viele Pflanzen, deren Früchte man wunderbar zu Marmelade oder Likör verarbeiten kann. Marmelade und Likör gehen eigentlich immer, wenn die Frucht oder Blüte sonst zu nichts “gut” ist. Ein gutes Beispiel hierfür mag der Schlehdorn sein.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Wie schaffst du es, dass die Bilder so eine Tiefenwirkung haben?
Ich verwende für meine Bilder die Focus-Stacking-Methode, um eine hohe Schärfentiefe zu erreichen. Ich mache also eine Serienaufnahme aus derselben Position, bei der ich am Fokusring meines Makroobjektivs drehe und damit den Schärfebereich im Motiv verändere. Die Blüten und Blätter positioniere ich mit Hilfe von Pinzetten und anderen Hilfsmitteln.
Die Tiefenwirkung kommt durch die korrekte Ausleuchtung, bei der "nach hinten" alles dunkler wird. Kugelförmige Objekte, wie Früchte, können beispielsweise bei schlechter Beleuchtung schnell wie Scheiben wirken. Es ist daher wichtig, an den richtigen Stellen für Schatten zu sorgen.

Jennifer Markwirth | Flora Obscura | Umweltfotofestival Horizonte Zingst
Wie lange wird dich das Projekt “Flora Obscura” noch begleiten und arbeitest du parallel noch an weiteren Fotoprojekten?
Für dieses Projekt habe ich mir kein konkretes Ende gesetzt, die Anzahl essbarer Pflanzen ist schließlich riesengroß.
Ich versuche mich manchmal in anderen kreativen Dingen, zum Beispiel anderen Genres der Fotografie, Cyanotypie – auch bekannt als Blaudruck – oder Holzschnitten. Früher habe ich auch viel gemalt, vorwiegend Aquarelle, aber auch mit Öl, Acryl und Pastellkreide. Damit habe ich mich aber nie professionalisiert.
Das botanische Kabinett der essbaren Pflanzen von Jennifer Markwirth ist online abrufbar. Neben den wunderschönen Fotos findest du dort auch detaillierte Informationen zu den einzelnen Pflanzen.
Weitere Interviews mit spannenden Fotograf:innen gibt’s auf dem MPB-Blog.