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MPB trifft: Streetfotografin Polly Rusyn

Veröffentlicht am 8. September 2020 von MPB

Polly Rusyn ist eine preisgekrönte Streetfotografin in London. Ihre Arbeiten sind von Farben und der Lebendigkeit von Orten und Menschen durchdrungen. Sie nutzt die Welt als sich ständig ändernde Leinwand und verwendet Humor, Licht und das Nebeneinander von Gegenständen und Elementen, um den Alltag zu reflektieren.

Polly wurde in Publikationen wie National Geographic Traveller UK, Digital Photography und Eyeshot Magazine abgedruckt und hat unter anderem bei Photosynthesis PhoSofia, den Siena International Photography Awards, dem Miami Street Photography Festival und dem jährlichen Fotowettbewerb des National Geographic Traveller gewonnen oder wurde in die engere Auswahl aufgenommen. Sie saß außerdem in der Jury für das London Street Photography Festival.

Wir sprechen mit Polly über ihre Laufbahn und ihren Stil, die Kuriositäten, die ihr im Alltag begegnen, und über ihre Ausrüstung.

Polly Rusyn

Fujifilm X100V | 23mm | f/16 | 1/1000 sec | ISO 1600

MPB: Wie bist du zur Fotografie gekommen?

PR: Ich wollte nie Fotografin werden! Als ich jünger war, habe ich alles und jeden gezeichnet. Ich war also immer künstlerisch tätig. Letztendlich habe ich einen Abschluss in Grafikdesign gemacht und eine Weile in diesem Bereich gearbeitet. Dann habe ich den Job aufgegeben, um acht Monate lang rund um die Welt zu reisen. Und natürlich habe ich eine Kamera mitgenommen, aber ich nahm Schnappschüsse auf, keine Fotokompositionen. Im Wesentlichen habe ich Erinnerungen eingefangen, vielleicht ab und zu mit etwas mehr „künstlerischer“ Ambition. Während dieser Reise stieß ich auf die Arbeiten des Kunstfotografen Peter Lik. Ich fand dies so inspirierend, dass er das, was er liebte, auch auslebte, obwohl ich noch nicht die Berufung spürte, selbst Fotografin zu werden.

Später während der Arbeit in einem Reisebüro wuchs mein Wunsch nach einem kreativen Ventil. Es fühlte sich ganz natürlich an, mich der Fotografie zuzuwenden. Ich schloss mich ein paar Fotografiegruppen in sozialen Netzwerken an und stellte fest, dass mich das Fotografieren von Menschen am meisten interessierte. Ein paar Jahre später hatte ich das Glück, als Recherche für das Abenteuerreiseunternehmen, für das ich arbeitete, nach Papua-Neuguinea reisen zu können. Damals war meine Kamera schon überall dabei. Und auf dieser Reise hatte ich die Gelegenheit, einen Stamm zu fotografieren, der sich auf eine Festlichkeit vorbereitete. Ich erinnere mich immer noch an den Moment, als ich ein bestimmtes Foto aufgenommen habe und das Gefühl hatte, dass dies etwas in mir berührte. Dann wusste ich, dass ich Fotografin werden wollte. Ich verließ die Reisebranche und stieg in die Fotobranche ein. Es war eine Achterbahnfahrt, denn ich hatte nicht wirklich einen Plan. Das war vor fünf Jahren.

Jetzt nehme ich Porträts und persönliche Markendokumentarfotos auf und leite außerdem Streetfotografie-Workshops für mein Unternehmen The Photo Weekender. Dieses Jahr wurde ich zur offiziellen Fujifilm X-Fotografin erklärt, was sich wie eine großartige Leistung anfühlt.

Foto an einer Betonwand mit einer gelben Wand davor befestigt

Fujifilm X-T2 | XF 23mm f/2.0 R WR | f/8.0 | 1/500 sec | ISO 400

MPB: Hast du mit verschiedenen Fotogenres experimentiert, bevor du in der Straßen-/Dokumentarfotografie angekommen bist?

PR: In der Anfangszeit meines Unternehmens habe ich mit verschiedenen Fotografie-Genres experimentiert. Ich habe einige Veranstaltungen fotografiert, ein paar Babys, und mich an Stockfotografie versucht. Eines der ersten Genres, die mich interessiert haben, war die Architekturfotografie. Ich liebe die Geometrie und die Linien der modernen Architektur, sie haben der Grafikdesignerin in mir wirklich gefallen. Ich dachte erst, ich wollte Reisefotografin werden – insbesondere, weil ich gerne reise – aber das dreht sich oft um Landschaften, Sonnenuntergänge und Essen. Ich liebe all diese Dinge, aber ich bin nicht wirklich begeistert davon, sie zu fotografieren. Ich wollte – musste – Menschen fotografieren. Außerdem ist die Reisefotografie kommerzieller als die Straßenfotografie. Für mich findet man dort nicht die Art von seltsamen Dingen, die ein Straßenfotograf aufnehmen kann.

MPB: Was interessiert dich besonders an Streetfotografie?

PR: Nun, zunächst einmal gibt es den eigentlichen Aufnahmeprozess, der mich bei Straßenfotos anzieht. Ich finde es meditativ, herumzulaufen und mich in einen Flow zu begeben, wo ich mich ausschließlich auf das Finden von Bildmotiven konzentriere. Aber es kann auch sehr spannend sein. Vor allem, wenn ich etwas sehe, von dem ich weiß, dass es in einem Foto münden wird, das ich noch nicht gemacht habe. Es ist vielleicht noch nicht der richtige Moment – aber es wird gleich so weit sein – ich muss noch die richtige Zusammenstellung finden und die Zeit läuft! Ich sehe dies als Problemlösungsübung. Und ich liebe es, Probleme zu lösen. Zudem habe ich keine Kontrolle über meine Umgebung. Trotzdem liegt es an mir, alles in meinem Rahmen zu kontrollieren. Den Moment, das Motiv, den Hintergrund, die Begrenzungen, die Ecken. Alles muss zusammenpassen. Und wenn alles zusammenkommt, ist es das beste Gefühl. Ich liebe es.

Ich beschäftige mich hauptsächlich damit, Momente zu finden und diese gut zusammenzusetzen. Und da mir das ganze Bild wichtig ist, ist mein Auge immer auf die Beziehung zwischen dem Motiv und dem Hintergrund gerichtet. Ich finde gerne Verbindungen – visuelle oder menschliche. Ich glaube, dass ich letztendlich versuche, Freude in irgendeiner Weise zu fotografieren. Helle Farben und sonnige Tage sind fröhlich – und wenn ich einen ungewöhnlichen, humorvollen oder inspirierenden Moment finde, bin ich sehr glücklich.

Person im Anzug mit breitkrempigem Hut, im Vordergrund der Körper eines Pferdes

Fujifilm X-T2 | XF 27mm f/2.8 | f/14 | 1/1000 sec | ISO 800

MPB: Du nimmst einen Großteil deiner Arbeiten im Ausland auf – verändert sich deine Arbeitsweise, wenn du reist?

PR: Reisen sind ein wichtiger Teil meines Lebens, und der Großteil meiner Arbeiten entsteht im Ausland. Wenn ich auf Reisen bin, gebe ich mir selbst die Erlaubnis, den ganzen Tag zu fotografieren – tagein, tagaus – und gelange so wirklich in einen Flow. Zuhause in London denke ich immer an die Arbeit oder habe das Gefühl, dass ich arbeiten sollte. Es fühlt sich luxuriös an, einen Tag frei zu nehmen und den ganzen Tag zu fotografieren. Ich finde neue Orte viel kreativer und stimulierender als die Vertrautheit meines Zuhauses. Obwohl ich aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie gezwungen war, in London zu fotografieren, ist das keine schlechte Sache. Dabei habe ich eine neue Wertschätzung für meine Heimatstadt entwickelt.

Solange ich mir die Zeit nehmen kann, mich auf das Aufnehmen von Bildern zu konzentrieren, gehe ich überall auf die gleiche Weise vor. Ich suche nach Licht und Farben und hoffe, diese besonderen Momente zu finden, die im Alltag oft verborgen bleiben.

Zwei Menschen stehen hinter einem Windbreaker in der prallen Mittagssonne

Fujifilm X-T20 | XF 27mm f/2.8 | f/16 | 1/500 sec | ISO 200

MPB: Welches Wetter – oder welche Tageszeit – bevorzugst du, wenn du nach Licht und Farben suchst?

PR: Ich liebe sonnige Tage. Aber natürlich ist nicht jeder Tag sonnig. Ich freue mich darauf, an sonnigen Tagen den ganzen Tag draußen zu sein. Ich liebe die langen Schatten des frühen Morgens und späten Nachmittags, aber in der prallen Mittagssonne bin ich ebenso glücklich. Obwohl meine frühen Straßenfotos in Schwarzweiß waren, bin ich wirklich besessen von Farbe. Strahlendes Sonnenlicht verstärkt die Farben, insbesondere bei Aufnahmen mit kleiner Blende, sodass das Licht so hell sein kann, wie es sein will – ich finde immer einen Weg, um  damit zu arbeiten. Außerdem kann man mit Schatten viel Spaß haben. Ich spiele zwar gerne mit Lichtinseln, aber besonders interessiere ich mich für Farben. Ich betrachte es eher als das Aufnehmen „von“ Farben als „in“ Farbe.

Person mit blauen Haaren und Sonnenbrille unterwegs mit Kopfhörern

Fujifilm X100V | f/14 | 1/2000 sec | ISO 1600

MPB: Mit welcher Ausrüstung fotografierst du?

PR: Ich verwende ausschließlich spiegellose Systemkameras von Fujifilm. Für Auftragsarbeiten habe ich eine Fujifilm X-T2 mit einem Fujifilm XF 23mm f/2 R WR und einem 35mm f/2 R WR. Die X-T2 verfügt über zwei SD-Kartensteckplätze, sodass ich unterwegs die Daten sichern kann. Für Straßenaufnahmen verwende ich eine Fujifilm X100V, weil sie die perfekte Kamera für die Straße ist. Ich liebe den silber-schwarzen Retro-Look, aber ich bin auf ganz schwarz umgestiegen, um auf der Straße unauffälliger zu wirken. Seit ich meine DSLR aufgegeben habe, bin ich bei Fujifilm geblieben. Sie sind klein, stylisch und ich liebe die Farben, die ich damit erhalte – ich entscheide mich immer für die Provia Standard-Filmsimulation. Der optionale lautlose Auslöser und das Klappdisplay sind besonders für Aufnahmen auf der Straße fantastisch geeignet. Ich arbeite lieber manuell, um das Licht zu manipulieren, somit kann ich dank der externen programmierbaren Bedienelemente und Regler während der Aufnahme schnell Anpassungen vornehmen.

Person, die auf einer Promenade mit dünnen Schatten geht, aus der Froschperspektive

Fujifilm X-T2 | XF 23mm f/2.0 R WR | f/16 | 1/2000 sec | ISO 1600

MPB: Du hast Aufnahmen während Covid-19 erwähnt – hat sich deine Straßenfotografie aufgrund dessen geändert?

PR: Ich musste mich schon anpassen. In den Anfängen der Pandemie habe ich mich auf meine eigene Nachbarschaft beschränkt, um urbane Abstraktionen zu fotografieren, meinen Schatten auf Dinge zu werfen, Straßenfotos ohne Menschen aufzunehmen und mit Spiegelungen zu experimentieren. Es war soziale Distanz im Extremen. In den letzten Wochen habe ich mich etwas weiter weg gewagt. Bin ein wenig näher an Menschen herangegangen als zuvor, unter Einhaltung des Sicherheitsabstands. Es ist eine Herausforderung, aber Herausforderungen gilt es zu meistern.

Leitlinien zu einer Person in einem blau-gelben Kleid im grellen Mittagslicht

Fujifilm X-T2 | XF 27mm f/2.8 | f/16 | 1/800 sec | ISO 800

MPB: Was hast du für die Zukunft geplant?

PR: Ich möchte mich als Straßenfotografin weiterentwickeln und meine Bilder noch komplexer gestalten. Zudem möchte ich auch mehr Streetfotos ohne Menschen machen. Es ist wirklich nicht so einfach, wie es klingt, und sollte nicht mit Stadtbildern verwechselt werden. Ich hoffe, dass ich The Photo Weekender weiter ausbauen kann. Daher werde ich im nächsten Monat Workshops in London starten und einige weitere Ziele in Großbritannien anvisieren. Bis jetzt ging es darum, schöne Städte auf dem europäischen Festland zu erkunden. Außerdem möchte ich meine Streetfotografie-Fertigkeiten mehr für dokumentarische Arbeiten einsetzen, um Geschichten zu erzählen. Ich fände es toll, für eine gemeinnützige Organisation im Ausland zu arbeiten. Das wäre mein Traum: Reisen, Fotografieren und Geschichten erzählen, um positive soziale Veränderungen herbeizuführen.

Menschen mit breitkrempigen Hüten, die auf Pferden reiten, während sich die Silhouette abzeichnet

Fujifilm X-T2 | XF 27mm f/2.8 | f/16 | 1/500 sec | ISO 400


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Dieser Artikel ist Teil des MPB-Leitfadens zur Streetfotografie, unserem umfassenden Überblick über die Streetfotografie mit Kameraempfehlungen, Ratschlägen und Interviews mit Expert:innen.

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