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A scanned black-and-white diagram illustrating the complex chemical, industrial, and environmental processes involved in film production. Hand-drawn in black ink on white paper, it connects historical, ecological, and toxicological aspects of the film industry.

MPB trifft: Alice Cazenave – die Pionierin der nachhaltigen Dunkelkammer

Veröffentlicht am 14. März 2025 von MPB

Hinter jeder beeindruckenden Analogaufnahme verbirgt sich eine Geschichte, mit der sich nur wenige wirklich befassen – eine Geschichte über Chemikalien, Rohstoffe und Umweltauswirkungen. Alice Cazenave ist Fotokünstlerin und Doktorandin mit einer Leidenschaft für umweltfreundliche analoge Fotografie. Als Beraterin von The Sustainable Darkroom hilft sie bei der Entwicklung innovativer Ansätze zur Reduzierung der Umweltauswirkungen traditioneller fotografischer Prozesse. Von Experimenten mit pflanzlicher Chemie bis hin zur Erforschung der ökologischen Auswirkungen der Silbergewinnung – Alice setzt sich dafür ein, das Verhältnis zwischen Fotografie und Umwelt nachhaltig zu verbessern.

In diesem Interview spricht Alice über ihren kreativen Prozess, die Motivation hinter The Sustainable Darkroom und ihre Hoffnung auf eine grünere Zukunft der Analogfotografie.

Alice Cazenave

MPB: Du arbeitest seit 2020 mit The Sustainable Darkroom zusammen. Kannst du uns mehr über diese Organisation erzählen?

AC: The Sustainable Darkroom ist eine international tätige gemeinnützige Organisation, die Künstler:innen und Pädagog:innen bei der Umsetzung umweltfreundlicherer fotografischer Verfahren unterstützt. Unser Ziel ist es, schadstoffärmere Methoden für die Film- und Druckverarbeitung zu entwickeln, zu erforschen und zu vermitteln und gleichzeitig die ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der traditionellen Fotografie zu thematisieren.

Außerdem möchten wir auf die versteckten Umwelteinflüsse der Fotografie aufmerksam machen und Fotograf:innen dazu ermutigen, umweltfreundlichere Methoden anzuwenden, ohne dabei Kompromisse bei ihrer Kreativität eingehen zu müssen. Die Verantwortung dafür liegt derzeit zwar größtenteils bei den einzelnen Künstler:innen, aber wir hoffen, damit Impulse für einen branchenweiten Wandel geben zu können und Hersteller und Institutionen dazu zu bewegen, sich ernsthaft mit dem ökologischen Fußabdruck von Fotomaterialien und -prozessen auseinanderzusetzen.

Zu unserer Arbeit gehören die Durchführung von Workshops zur Entwicklung von pflanzenbasierten Filmen sowie das Organisieren von Projekten, bei denen Künstler:innen sich an der Erforschung umweltfreundlicher fotografischer Methoden beteiligen und ihre Ergebnisse mit anderen teilen können. Bei unseren Workshops verwenden wir eine pflanzenbasierte Ascorbatlösung als ökologische Alternative für die Filmentwicklung. Letztendlich geht es bei The Sustainable Darkroom aber nicht nur um schadstoffarme Methoden, sondern auch darum, die Geschichte der Fotografie ins rechte Licht zu rücken und eine Kultur des Materialbewusstseins und der Sorgfalt innerhalb dieses Mediums voranzutreiben.

MPB: Gab es einen bestimmten Moment, in dem dir klar wurde, dass die analoge Fotografie umweltfreundlicher werden muss?

AC: Mein Bewusstsein für die Umweltauswirkungen der Analogfotografie hat sich allmählich entwickelt. Als Fotograf:in wird man selten ermutigt, Dinge zu hinterfragen – zum Beispiel, warum Filme eine Stunde lang unter fließendem Wasser gewaschen werden müssen oder woher Rohstoffe wie die bei der Herstellung verwendeten Metalle eigentlich kommen.

Einige meiner ersten Arbeiten, bei denen ich mich mit den Zusammenhängen zwischen Fotografie und Umwelt befasste, entstanden durch Pelargonium-Druck – eine Methode, bei der auf lebende Blätter gedruckt wird. Ich belichtete ein Blatt mithilfe eines Negativs und färbte die belichteten Bereiche, um das Foto sichtbar zu machen. Das war mein erster Versuch, Pflanzen mit Fotografie zu verbinden, hat aber sofort meine Neugier auf Pflanzen als fotografisches Material geweckt. Erst als ich auf Gleichgesinnte traf und mich für meine Doktorarbeit eingehender mit dem Thema befasste, begann ich wirklich, die ökologischen und sozialen Auswirkungen traditioneller fotografischer Verfahren zu begreifen – darunter die Umweltverschmutzung, die durch die Gewinnung von Silber und dessen Umwandlung in fotografische Filme entsteht. Außerdem kommen bei der Herstellung von Filmen große Mengen an Chemikalien zum Einsatz.

Entwicklungsschalen mit pflanzenbasierter Entwicklungslösung

MPB: Hat dich dein Fokus auf umweltfreundlichere Methoden jemals in deiner Kreativität beschränkt?

AC: Im Gegenteil! Diese Arbeitsweise hat meinen kreativen Spielraum eher erweitert als eingeschränkt. In meinem kreativen Prozess denke ich oft darüber nach, wie ich Materialien wiederverwenden, Abfall minimieren oder Abfallprodukte anderweitig verwerten kann.

Im Westen des US-Bundesstaates New York hatte ich beispielsweise die Gelegenheit, mit Kalen Fontenelle, einem indigenen Fotografen, zusammenzuarbeiten. Wir haben ein Foto mit einer Lösung aus weißem Mais entwickelt, der von den Seneca vor Ankunft der Fotoindustrie und der damit verbundenen Kontaminierung ihres Bodens großflächig und mit großer Sorgfalt angebaut wurde. Durch die Verwendung dieser Lösung, die beim Kochen des Mais übrig bleibt, wollten wir auf die umweltschädliche und koloniale Geschichte der Fotografie aufmerksam machen.

Das Experimentieren mit Pflanzen bringt immer wieder Überraschungen und neue Erkenntnisse mit sich, da jede Pflanze einzigartige chemische Eigenschaften hat. Manche Fotograf:innen bevorzugen es, in der Dunkelkammer nichts dem Zufall zu überlassen, aber ich lasse mich gerne von verschiedenen Materialien leiten. Die Verwendung von Pflanzen in der Fotochemie sehe ich nicht als Einschränkung, sondern eher als Chance, neue ästhetische Möglichkeiten zu entdecken, die mit traditionellen Methoden nicht möglich wären.

a:yetíya' dágeha’ [We Should Help Her] in Zusammenarbeit mit Kalen Fontenelle

MPB: Du hast ja bereits erwähnt, dass sich deine Forschungsarbeit hauptsächlich auf die USA konzentriert. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?

AC: Ich forsche in den USA, weil ich die bei der Herstellung fotografischer Filme verwendeten Metalle, Lösungsmittel und Schadstoffe untersuche. Mein Schwerpunkt dabei liegt auf Silber. Silber ist für die Fotografie unerlässlich, da Silbersalze den Film lichtempfindlich machen und es die uns bekannten fotografischen Verfahren ohne Silber nicht gäbe. In Anbetracht der Bedeutung dieses Elements habe ich mich mit den kolonialen, gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Silbergewinnung und seiner Verwendung in der Filmherstellung befasst. Dazu habe ich in Nevada und New York, wo sich die größte Chemiefabrik von Kodak befindet, Nachforschungen angestellt, um die mit der Herstellung verbundenen Umwelteinflüsse besser zu verstehen.

Eastman Business Park

MPB: Welche Kameraausrüstung und welches Zubehör verwendest du?

AC: Meine Kameraausrüstung ist ziemlich einfach. Früher hatte ich eine Pentax 6x7, die ich sehr mochte, aber sie war auch sehr schwer und wurde mir leider gestohlen. Inzwischen fotografiere ich mit einer Yashica Mat-Mittelformatkamera, die leicht und kompakt ist und großartige Ergebnisse liefert. Meine Mutter hat mir vor Jahren eine Canon AE-1 geschenkt, die ich oft nutze. Diese 35-mm-Kamera ist einfach unkaputtbar und ausgesprochen zuverlässig.

Ich habe mich nie für die digitale Fotografie interessiert. Wie viele Analogfotograf:innen fasziniert mich die Haptik und Beschaffenheit des Films. Natürlich gibt es auch bei der digitalen Fotografie eine physische Komponente, da sie auf Metallen und energieintensiven Speichermedien basiert, aber sie bietet nicht das gleiche Erlebnis, etwas mit eigenen Händen zu erschaffen. Mein Schwerpunkt liegt mehr auf dem Experimentieren in der Dunkelkammer und der Arbeit mit Chemikalien als auf dem Fotografieren. Aber jede:r Fotograf:in arbeitet anders, und für mich liegt der eigentliche Reiz in der physischen Erstellung des Abzugs und nicht im Akt des Fotografierens.

Alles über Pflanzen

MPB: Du hast ja erwähnt, dass du verschiedene Pflanzen als Chemikalien verwendest. Haben verschiedene Pflanzenarten unterschiedliche Wirkungen?

AC: Ja, verschiedene Pflanzenarten können unterschiedliche Effekte erzeugen. Die Kombination aus pflanzenbasierten Chemikalien und Papier führt oft zu unterschiedlichen Farbtönen, wobei einige Kombinationen rotbraune Töne und andere tiefere Schwarztöne hervorbringen. Auch die Emulsion des Papiers und die darin enthaltenen Silberpartikel beeinflussen das Endergebnis. Meiner Erfahrung nach liefern Fotochemikalien, die man mithilfe von Pflanzen selbst herstellt, im Vergleich zu industriellen Chemikalien oft weichere, subtilere Farbnuancen. Manchmal ist das Ergebnis aber auch ähnlich und die Mischung macht's.

Pflanzenbasierte Filmentwicklung

MPB: Wenn du von Pflanzen sprichst, meinst du dann Haus- oder Gartenpflanzen?

AC: Absolut! Ich bevorzuge Pflanzen, die leicht verfügbar sind. Das ist sinnvoller, als Pflanzen zu kaufen, die um die halbe Welt gereist sind. Ich sammle verantwortungsvoll in öffentlichen Räumen, verwende Gartenpflanzen und arbeite mit verschiedenen Pflanzenteilen – Rinde, Wurzeln und Blätter –, die sich alle für die Entwicklung von Schwarz-Weiß-Fotos eignen.

In den USA habe ich hauptsächlich mit Pflanzen gearbeitet, die an meinen Forschungsstandorten wuchsen. Mich hat besonders interessiert, warum bestimmte Pflanzen in kontaminierten Gebieten wachsen und gedeihen. Einige Pflanzen sind in der Lage, Schadstoffe aus dem Boden aufzunehmen, indem sie Metalle in botanische Substanz umwandeln. Ich habe diese Pflanzen zur Herstellung von fotografischen Entwicklungslösungen verwendet. In Nevada, wo Silber früher von der Fotoindustrie abgebaut wurde, habe ich beispielsweise mit Wüstenpflanzen gearbeitet, die das abgetragene Erdreich stabilisieren, indem sie es mit ihren Wurzelsystemen zusammenhalten. So konnte ich ökologische Aspekte in den Vordergrund rücken, die in unserem Verständnis von der Fotografie und ihrer Geschichte normalerweise im Hintergrund stehen.

Selbst alltägliche Pflanzen wie Grasschnitt und Laub können verwendet werden, da die meisten von ihnen Phenolverbindungen enthalten, die für die Filmentwicklung nützlich sind. Kräuter wie Pfefferminze, Rosmarin und Thymian sind reich an solchen Verbindungen und deshalb besonders wirksam.

In der Natur gesammelte Pflanzen

Ungefilterter Wandel

MPB: Welchen Einfluss hat Nachhaltigkeit deiner Meinung nach auf die Fotoindustrie?

AC: Nachhaltigkeit in der Fotografie gewinnt zunehmend an Bedeutung, aber der Fokus liegt hauptsächlich auf Umweltproblemen und nicht auf den Rohstoffen und Prozessen, die für die Erstellung der Fotos verwendet werden. Bilder von Umweltzerstörung zu machen, ist eine Sache, aber wenn die Entstehung dieser Bilder zu dem Problem beiträgt, steht dies im Widerspruch zu dem, was du mit deiner Arbeit erreichen willst. Ich denke, dass immer mehr Fotograf:innen und Institutionen sich dessen bewusst werden.

Bei The Sustainable Darkroom verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Wir hinterfragen alles – von den verwendeten Chemikalien bis hin zur Beschaffung und Entsorgung von Materialien. Immer mehr Fotograf:innen beschäftigen sich mit Methoden wie der pflanzenbasierten Filmentwicklung und der Wiederverwendung abgelaufener Materialien. Um aber wirklich etwas zu bewegen, muss die Branche – insbesondere die großen Hersteller – Verantwortung übernehmen und sinnvolle Entscheidungen treffen, um ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ich hoffe, dass es mir eines Tages gelingt, diesen branchenweiten Wandel voranzutreiben und sicherzustellen, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Trend, sondern ein integraler Bestandteil unseres Denkens und Handelns wird.

MPB: Wie schafft man Bewusstsein und bringt die internationale Foto-Community dazu, sich für umweltfreundliche Praktiken einzusetzen?

AC: Wir haben durch Ausstellungen, Workshops und soziale Medien Aufmerksamkeit erzeugt und die internationale Foto-Community mit ins Boot geholt. Zusammen mit meinen Kolleg:innen Edd Carr und Hannah Fletcher stelle ich meine Arbeit in großen Galerien wie der Saatchi Gallery (London) und dem Chappe Art Museum (Finnland) aus. Diese Art der institutionellen Anerkennung trägt dazu bei, umweltfreundliche fotografische Methoden in den Mainstream zu überführen, wo sie für mich hingehören.

Social Media ein wirkungsvolles Tool, um mit Künstler:innen in Kontakt zu treten, und viele sind von der Arbeit mit Pflanzen fasziniert. Wir versuchen aber auch deutlich zu machen, dass Pflanzen nur ein Teil der Lösung sind. Es ist wichtig, Chemikalien ordnungsgemäß zu entsorgen und vor allem den Verbrauch von vornherein zu reduzieren. Unsere jüngsten veröffentlichten Forschungsergebnisse zu ökologischen Methoden haben uns ebenfalls dabei geholfen, Künstler:innen auf der ganzen Welt zu erreichen und wertvolle Informationen für diejenigen bereitzustellen, die nicht persönlich an unseren Workshops teilnehmen können. Wir haben auch eine Seite auf Patreon (einer abonnementbasierten Plattform) und Discord, wo Mitglieder unserer Online-Community ihre Experimente teilen, Fragen stellen und voneinander lernen können. Das beschleunigt die Entwicklung neuer Methoden unheimlich.

Diese Informationen zugänglich zu machen, gehört zu unseren Hauptanliegen. Außerdem möchten wir den Menschen zeigen, dass sie nicht auf Industriezweige angewiesen sind, denen sie kritisch gegenüberstehen – und das ist ausgesprochen befreiend.


Danke, Alice (@alice_cazenave_, @sustainabledarkroom)! Weitere inspirierende Interviews findest du auf dem MPB-Blog.

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