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MPB trifft: Streetfotograf Denis Cherim

Veröffentlicht am 16. Oktober 2020 von MPB

Die Arbeiten von Denis Cherim, Gewinner der Street Photography International Awards 2020, lassen sich nur schwer kategorisieren. Während sie das Alltägliche erforschen, machen Denis’ eingefangenen Zufälle sie außergewöhnlich – mit Elementen der Street-, Dokumentar- und Architekturfotografie.

Ein dichter Kiefernwald mit einem umgestürzten Baum

Denis Cherims akribische Liebe zum Detail, sein unglaublicher Blick für Nuancen und seine perfekt aufeinander abgestimmten Nebeneinanderstellungen lassen seine Bilder fast wie gefälscht aussehen.  In seiner 2012 begonnenen Serie „Coincidence Project“ betrachtet er die Realität des Lebens durch seine Linse, die er dann dekonstruiert, um das Absurde zu enthüllen. In diesem Interview sprechen wir mit Denis über seine Ausrüstung, seinen Arbeitsprozess und seinen Werdegang.

Person beim Windsurfen mit ein paar Gebäuden im Hintergrund

MPB: Kannst du uns etwas über deinen Werdegang erzählen?

DC: Ich bin ein autodidaktischer Fotograf und komme ursprünglich aus Rumänien. Ich habe schon in jungen Jahren begonnen, neue Kulturen kennenzulernen, als ich mit meiner Familie nach Istanbul zog. Später zogen wir nach Spanien – und Madrid wurde zu meiner Heimatstadt. Meine Leidenschaft für das Reisen hörte dort jedoch nicht auf. Ich lebte zeitweise in Bukarest, Sofia, London und Kaohsiung.

Riesiger Turm im Hintergrund mit einem goldenen Zaun im Vordergrund

MPB: Wie bist du zu deinem einzigartigen Fotografie-Stil gekommen?

DC: Wie ihr euch vielleicht erinnert, sollte 2012 das Ende der Welt sein – so wurde es uns zumindest prophezeit. In gewisser Weise endete für mich die Welt, wie ich sie kannte, und meine Wahrnehmung von allem veränderte sich. Ende 2012 begann ich, das „Coincidence Project“ zu entwickeln, um die Einheit, die ich erlebte, festzuhalten.

Eine Palme hinter einer Mauer bildet eine perfekte Linie mit dem Schatten einer anderen Palme

In unserer Gesellschaft tendieren wir dazu, jede Tatsache zu polarisieren. Wir versuchen, die Bedeutung des Ganzen zu verstehen, indem wir es in kleine Teile zerlegen, über die wir bereits alles wissen. Ich möchte zeigen, dass – wie die Gestaltlehre besagt – das Ganze viel mehr ist als die Summe seiner Teile.

Verrostete Metallwand mit drei ausgeschnittenen Kreisen neben einem Baum im Hintergrund

MPB: Wie hältst du dein Arbeitstempo aufrecht?

DC: Es gibt Tage, an denen ich Hunderte von Fotos machen kann, und dann gibt es Monate, in denen ich nicht ein einziges sehe. Das war während der Quarantäne, die wir in Spanien hatten, sehr nützlich. Da ich zu Hause blieb und nicht so oft rausgehen konnte wie früher, hatte ich die Zeit, mir Fotos anzusehen, die ich vor Jahren aufgenommen und nie retuschiert oder veröffentlicht hatte. Wenn ich zum Fotografieren gehe, habe ich normalerweise kein Tagespensum im Kopf. Ich versuche einfach, wirklich im Moment zu sein und meine Umgebung genau zu beobachten.

Person, die hinter einem Baum in einer kontrastreichen Straße geht

MPB: Deine Arbeit scheint eine Menge Geduld zu erfordern – bist du ein geduldiger Mensch?

DC: Das könnte das größte Missverständnis über mich und meine Arbeit sein. Ich weiß, es sieht so aus, als ob ich ein geduldiger Mensch sein sollte, aber das bin ich überhaupt nicht. Ich nehme mir selten mehr als ein paar Minuten Zeit, um ein Foto zu machen.

Zwei große Gebäude im Schatten bilden zusammen ein interessantes Muster

Manchmal komme ich an einer interessanten Szene vorbei und denke, wenn ich warte, wird sich die Sonne bewegen und der Schatten wird einen interessanten Zufall erzeugen. Aber irgendetwas treibt mich an, weiterzugehen. Ich kann an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft ich gewartet habe oder zu einer bestimmten Zeit an einen Ort zurückgekehrt bin, um ein Foto zu machen.

Ein großer Baum auf der Straße bei Sonnenuntergang

MPB: Was treibt dich an, diese Bilder aufzunehmen

DC: Es gibt einige universelle Regeln, die für alle von uns gelten. Für mich ist die Fotografie ein Werkzeug, das ich benutze, um diese Regeln immer wieder neu zu entdecken und zu verstehen. Mit jedem Bild, das ich aufnehme, habe ich das Gefühl, dass ich dieses universelle Spiel immer besser beherrsche. Und natürlich möchte ich immer besser werden – auch wenn ich nicht weiß, wann oder ob das Spiel ein Ende hat.

Eine Palme hinter einem Gebäude bildet eine perfekte Linie mit dem Schatten einer anderen Palme auf dem Gebäude

Ich möchte durch meine Fotos mit den Menschen kommunizieren und ihnen zeigen, dass die Welt viel mehr ist als das, was wir auf den ersten Blick sehen. Ich möchte sie dazu inspirieren, ihre Umgebung neu zu entdecken, denn Zufälle gibt es überall.

Ein Wegweiser, der sich perfekt an die Hügelkette im Hintergrund anpasst

MPB: Welche Fotograf:innen haben dich am meisten beeinflusst?

DC: Ich kann keine Person nennen, die mich besonders beeinflusst hat. Aber gleichzeitig glaube ich, dass wir alle von allem und jedem auf irgendeine Art beeinflusst werden, dem wir in unserem Leben begegnen.

Eine Wolke formt sich perfekt in den Metalldrähten eines Zauns

Ich mache meine Fotografie nicht, um einer bestimmten Bewegung anzugehören, sondern um zu zeigen, wie ich die Welt wahrnehme. Deshalb fällt es mir schwer, meine Arbeit zu kategorisieren – aber ich muss gestehen, dass ich es schon immer genossen habe, nicht dazuzugehören.

Zwei Bäume hinter einem Zaun

MPB: Fotografierst du alleine?

DC: Für mich kommt es auf die Orte an, die ich aufsuche. Manche muss man in der Einsamkeit genießen, andere wiederum brauchen Gesellschaft. Die Menschen tauschen Energien aus, die deine Perspektive beeinflussen.

Straßenlaternen auf einer kurvenreichen Straße bilden eine perfekte Linie mit der fernen Horizontlinie des Meeres

MPB: Steckt hinter jedem deiner Bilder eine Geschichte?

DC: Ich betrachte meine Fotos als Einträge in meinem Tagebuch, als Bestätigungen der vergangenen Tage. Ich habe nicht zu jedem Foto eine bestimmte Geschichte, denn sie sind die Geschichte selbst. Außerdem habe ich nicht das beste Gedächtnis, und deshalb schaue ich mir gerne die Fotos an, die ich vor Jahren gemacht habe. Ich habe das Gefühl, dass jedes Bild zu einer Aufzeichnung dieses bestimmten Moments und Tages in meinem Leben geworden ist.

Eine Insel in der Ferne passt perfekt zu den Schatten im Vordergrund

MPB: Kannst du uns etwas über deine Ausrüstung erzählen? 

DC: Ich habe viele verschiedene Marken ausprobiert – von Canon über Fujifilm bis hin zu Ricoh. Mit der Zeit haben sich die spezifischen Eigenschaften, nach denen ich suche, verändert. Ich lege jetzt mehr Wert auf Gewicht und Auflösung. Letztes Jahr habe ich eine Ricoh GR III gekauft und nehme sie immer und überall mit. Ich genieße es, mit einer Kamera, die in meine Hosentasche passt, hochwertige Bilder machen zu können.

Ein Lieferwagen auf der Autobahn, der mit hoher Geschwindigkeit unter einer Brücke hindurchfährt

Nachdem ich viele Jahre lang hauptsächlich mit einem 50mm-Objektiv fotografiert habe, hat mich der Wechsel zu einem Weitwinkelobjektiv herausgefordert, Orte neu zu entdecken. Aber ich fotografiere immer noch manchmal mit meiner Fujifilm X-T2 meistens für Auftragsarbeiten.

Der Kondensstreifen eines Flugzeugs stimmt genau mit den Händen einer großen Jesus-Statue überein

MPB: Was sind deine Pläne für die Zukunft?

DC: Gesund zu bleiben, um weiterhin Fotos machen zu können, die universellen Geheimnisse zu enträtseln und mein Verständnis durch meine Fotografie zu teilen.

Der Schatten eines Baumes scheint sich perfekt mit dem eines echten Baumes hinter einer Mauer und einem Zaun zu verbinden.

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Dieser Artikel ist Teil des MPB-Leitfadens zur Streetfotografie, unserem umfassenden Überblick über die Streetfotografie mit Kameraempfehlungen, Ratschlägen und Interviews mit Expert:innen.

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