
MPB trifft: Streetfotograf Siegfrid Hansen
Veröffentlicht am 1. Juni 2021 von MPB
Der preisgekrönte Streetfotograf Siegfried Hansen ist bekannt für seine Kompositionen, die auf grafische Verbindungen und Zufälle im öffentlichen Raum setzen. Siegfrieds Arbeiten wurden in Büchern, Magazinen und Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt. Er ist Mitglied des renommierten Streetfotografie-Kollektivs UP Photographers und Gründungsmitglied des German Street Photography Festival. Zu seinen veröffentlichten Fotobüchern gehören Hold the Line und The Flow of the Lines. Wir sprechen mit Siegfried über seine Ausrüstung, Technik und Streetfotografie.

MPB: Du fotografierst mit einer Leica Q2 und Leica Q2 Monochrom. Benutzt du auch eine andere Ausrüstung? Und wie wichtig ist dir die Ausrüstung für dich als Fotograf?
SH: Ich lege viel Wert auf eine sehr gute Ausrüstung und benutze nur eine Kamera – seit Jahren die Leica Q und später die Q2. Die Kamera ist handlich, schnell und macht qualitativ sehr hochwertige Bilder. Früher habe ich mit APS-C-Systemkameras und einem 24-70 mm Objektiv gearbeitet, die Beschränkung auf die 28mm Brennweite war zunächst gewöhnungsbedürftig, ich muss heute noch mehr als früher die Füße als Zoom nutzen. Das zwingt mich dazu, meinen Motiven näher zu kommen. 28mm, das ist für meine Art der Fotografie die bevorzugte Brennweite und die Leica Q2 in ihrer Kompaktheit und Schlichtheit das optimale Werkzeug, gerade wenn man auf der Suche nach der zweiten oder dritten Ebene ist. Aber letztendlich machen Fotograf:innen die Bilder, eine gute Ausrüstung ist wichtig, aber viel wichtiger ist der Mensch hinter der Kamera.

MPB: Deine Bilder wirken durch einige Situationen der Motive oftmals sehr spontan. Gleichzeitig strahlen die Motive aber Ruhe aus, die einem den Eindruck vermittelt, dass auf den perfekten Moment gewartet wurde. Würdest du dich als Mensch und Fotograf als eher geduldig oder spontan beschreiben? Oder anders formuliert, hast du eine Idee zu deinen Motiven und wartest auf den perfekten Moment oder entdeckst du den perfekten Moment in genau diesem Augenblick?
SH: Das war ein Entwicklungsprozess, der über ca. 8 – 10 Jahre ging. Ich habe Einflüsse von anderen Künstler:innen (Fotograf:innen und Maler:innen) zugelassen, die ich gut fand und die mich interessierten. Diese Einflüsse habe ich dann in meine Arbeit mit aufgenommen und dadurch meinen eigenen Stil entwickelt. Der eigentliche Aufwand ist loszugehen und seine Wahrnehmung zu ändern. In meinen Workshops zeige ich explizit bei einigen sehr bekannten Bildern von mir, wie diese entstanden sind. Durch das Sammeln und nicht durchs das Jagen nach dem einzigartigen Moment. Ich bin durch diese bestimmte Technik sehr konzentriert, aber ständig am Fotografieren (d.h. kein Dauerfeuer, sondern ich habe mir ein Konzept erarbeitet). Ich sammle solange bis mich das Motiv (Objekt oder Thema) nicht mehr interessiert oder ich am Ende ein großartiges Bild habe.
Ein gutes Streetfoto ist das Zusammenspiel aus fotografischem Können, Glück und Ausdauer. Das braucht Zeit. Und es gibt keine Abkürzungen. Ich denke, jeder kann gute Streetfotos machen. Das Wichtigste auf dem Weg dieses Ziels ist: Trainieren, Lernen von Bildsprache (Komposition) und sich konstruktives Feedback holen, entweder aus dem Internet oder von gleichgesinnten Fotograf:innen.

MPB: Du gibst auch Workshops in verschiedenen Städten in Deutschland. Wie fühlt es sich an deine Kenntnisse, deine Ideen, insbesondere deine Art, Dinge zu sehen, weiterzugeben?
SH: In meinen Workshops, meistens in Hamburg, München, Nürnberg und Hannover, aber auch international wie in Mailand oder Tokyo ist mir wichtig, dass die Teilnehmenden, die in den Bereich der Streetfotografie eintauchen wollen, aktiv fotografieren, während sie unterwegs sind. Entscheidend ist, sich bereits im Vorfeld ein Konzept aufzubauen, damit man nicht einfach durch die Gegend läuft und darauf wartet, dass „plötzlich“ das entscheidende Motiv erscheint. Ich habe hierfür ein bestimmtes Tool für meine Workshops entwickelt, welches ich PILOT nenne. Man wird dadurch vom Jäger zum Sammler und kommt über das Sammeln und die entsprechenden Wahrnehmungsänderungen zu den guten Bildern.
Meine Workshop-Teilnehmenden haben, nachdem sie mein PILO- System kennengelernt haben, meistens recht schnell ihre Wahrnehmung verändert und sind viel aktiver und somit auch produktiver unterwegs. Das hat mir gezeigt, dass vieles in der Fotografie mit der Änderung der alltäglichen Wahrnehmung zu tun hat. Diese Veränderung kann man trainieren. Außerdem ist es sehr inspirierend zu sehen, wie verschieden die Fotograf:innen sind und welches unglaubliche kreative Potenzial es gibt. Das beeindruckt mich immer wieder.

MPB: Inwiefern hat die Covid-19-Pandemie deine Fotografie beeinflusst?
SH: Ich habe die außergewöhnliche Situation der leeren Straßen dazu genutzt, um meine Heimatstadt Hamburg aus einem anderen Blickwinkel zu fotografieren. Plötzlich waren andere Dinge sichtbar. So habe ich eine Serie produzieren können, bei der ich Straßenmarkierungen im Vordergrund mit der leeren Straße und einem bekannten Gebäude im Hintergrund verbinden konnte. Inspiriert hat mich dabei der Fotograf Chargesheimer, vor allem sein Buch „Köln 5 Uhr 30“, das 1970 eine Stadt ohne Menschen zeigte. Beim ersten Lockdown dachte ich noch, dass alles in ein paar Monaten vorbei ist, nun habe ich mir mehr Zeit gelassen.

MPB: Du hast deine Bilder letztlich auch über den Eyeshot Verlag in einem Buch publiziert. Wie stehst du generell dem Medium Buch und damit der Art, wie deine Bilder betrachtet werden, gegenüber?
SH: Generell finde ich die klassische Art des Buches als Medium sehr gut. Die Haptik ist meiner Meinung nach immer noch sehr wichtig beim Betrachten von Bildern. Es ist schon ein Unterschied, Bilder auf ein Laptop oder Handy zu betrachten oder ein Buch zu kaufen. Oder noch besser, eine Ausstellung zu besuchen. Man betrachtet die Bilder anders als beim schnellen Durchklicken im Internet.

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