
Streetfotografie: 15 Tipps für bessere Straßenporträts
Veröffentlicht am 8. April 2025 von MPB
Auf den ersten Blick kann die Idee der Straßenporträtfotografie widersprüchlich erscheinen. Die Kombination von traditionellen Schnappschüssen der Streetfotografie und gestellter Porträtfotografie kann bei manchen für Kopfschütteln sorgen. Straßenporträts haben jedoch ihre Vorteile, die die üblichen Nachteile Streetfotografie abmildern.
Straßenporträtfotograf:innen können die Problematik im Zusammenhang mit Offenheit und Zustimmung vermeiden, indem sie die Personen zunächst um Erlaubnis bitten. Durch die Anwendung anderer Techniken der Streetfotografie und durch den Einsatz von Menschenkenntnis können die Fotograf:innen dennoch die Mystik interessanter Personen bewahren.
Wie kannst du mit Straßenporträts beginnen? Wir haben den preisgekrönten Streetfotografen Simon Murphy, der auf mehr als 20 Jahre Erfahrung zurückblicken kann, um seinen Rat gebeten. In diesem Artikel erkunden wir den kreativen Prozess der Aufnahme von Fremden im Alltag – von der Annäherung an die Menschen über das Bitten um Erlaubnis und die Bildkomposition bis hin zu Ehrlichkeit und Geduld.
Nun zu dir, Simon.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
1. Nimm dir Zeit zum Umherwandern
Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, umherzuwandern und zu sehen, was sich entfalten könnte. Ich bin sehr offen für zufällige Begegnungen und glaube, dass sich besondere Momente ergeben, wenn man sich auf diese Weise öffnet. Wenn ich umherlaufe, arbeite ich auch an mir als Mensch. Die Fotografie hat mein Leben so positiv verändert, dass ich auch meine Projekte so positiv wie möglich gestalten und gleichzeitig die raue Wirklichkeit einfangen möchte. Wenn ich umherwandere, gerate ich in eine Art meditativen Zustand, in dem ich mehr wahrnehme.
2. Hinterfrage, warum du dich zu einem Motiv hingezogen fühlst
Mein Hauptinteresse gilt den Menschen, ich sehe jemanden und es gibt eine innere Reaktion, die ich mir notiere. Was ist mir aufgefallen? Warum hat die Person diese Reaktion in mir ausgelöst? Ich stelle mir diese Fragen innerhalb von Millisekunden und frage mich: Was liebe ich an dieser Person? Ich weiß, das mag dramatisch klingen, aber ich habe Sekunden Zeit, um den Mut aufzubringen, die Person anzusprechen.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
3. Sei ehrlich zu den Menschen
Wenn ich mich vorstelle und die Person mich fragt, warum ich sie fotografieren möchte, erzähle ich ehrlich die Antworten auf die inneren Fragen, die ich mir gerade gestellt habe. Menschen erkennen sehr schnell, was man vorhat, daher ist ein ehrlicher, enthusiastischer Ansatz entscheidend für den Erfolg. Ich fühle mich zu den “Underdogs” hingezogen, zu den Charakteren, zum Individualismus.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
4. Zeige echtes Interesse und habe Geduld
Der Trick besteht darin, echtes Interesse zu zeigen – was natürlich kein Trick ist, es muss echt sein – und dem Ganzen Zeit zu geben.
Viele Fotograf:innen, die den Mut haben, jemanden anzusprechen, vermasseln es in dieser Phase. Sie gehen mit Bedauern nach Hause, weil sie überstürzt handeln. Wenn die Person dem Bild zustimmt, geraten Fotograf:innen manchmal in Panik und denken, dass der Prozess für die Person unangenehm ist.
Wenn eine Person einwilligt, fotografiert zu werden, hat sie mir ein Geschenk gemacht. Ich möchte für diese Person die bestmögliche Arbeit leisten, denn ich möchte ihr das Geschenk zurückgeben, das sie mir gemacht hat. Ich möchte, dass sie das Bild und die Erfahrung liebt.
Wenn eine Person zustimmt, ist das für mich der Moment, in dem ich durchatme und langsamer werde. Ich kann mich dann vergewissern, dass der Hintergrund richtig ist. Ich kann mich vergewissern, dass die Position des Körpers im Verhältnis zum vorhandenen Licht richtig ist, um die bestmögliche Darstellung zu erreichen. Ich glaube, die Leute spüren die Sorgfalt und entspannen sich.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
5. Bitte die Person, in die Kamera zu schauen
Ich finde Blickkontakt sehr wichtig. Er gibt den Betrachter:innen die Möglichkeit, in die Augen der porträtierten Person zu schauen. Und es entsteht der Eindruck eines unausgesprochenen Gesprächs.
6. Bitte um Erlaubnis und fotografiere die Person in ihrer ursprünglichen Pose
Ich leite die Person, die ich fotografiere, oft an. Ich glaube, das kommt daher, dass ich früher Mode für Zeitungsbeilagen fotografiert habe.
Die Bilder sind alle echte Momente, die auf der Straße aufgenommen wurden. Da ich aber um Erlaubnis bitte, verändern sich Körperform und Ausdruck der Person gegenüber dem, was ich bei der ersten Annäherung gesehen habe. Jemand, der an einem Laternenpfahl lehnt, ändert zum Beispiel seine Haltung, wenn ich mit ihm ins Gespräch komme. Manchmal muss ich sie ein wenig anleiten, um sie wieder in die ursprüngliche Haltung zu bringen.
Ich bevorzuge einen neutralen Ausdruck. Ich mag auch echtes Lachen, aber das ist für mich schwieriger einzufangen, da ich bei offener Blende manuell fokussiere.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
7. Tausche Kontaktdaten mit der Person aus und triff dich wieder mit ihr
Das Porträt von Seamus (siehe oben) weicht etwas von meinem üblichen Vorgehen ab. Normalerweise fotografiere ich Menschen so, wie ich sie vorfinde – aber dies war das zweite Mal, dass ich Seamus fotografiert habe.
Das erste Mal traf ich Seamus in einem Park. Ich bekam seine Instagram-Daten, damit ich ihm die Bilder weiterleiten konnte. Als ich erfuhr, dass er ein Künstler ist, der wirklich interessante Kostüme herstellt, verabredete ich mich erneut mit ihm. Dieses Kostüm war Seamus' Interpretation einer Riesenratte.
8. Halte Ausschau nach denselben Personen
Ich habe mehrere Personen mehr als einmal fotografiert. Die Leute fühlen sich wohler, wenn sie genau wissen, was man tut.
Eine Person, die ich zweimal fotografiert habe, war Eliza. Beim ersten Mal muss sie etwa 12 Jahre alt gewesen sein, sie trug ein Partykleid und hielt zusammen mit ihrer Schwester ein großes Geschenk in der Hand. Beim zweiten Mal war sie etwa 15 und trug ihre Katze um den Hals, während sie einkaufen ging. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich sie schon einmal fotografiert hatte, so sehr war sie gewachsen.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
9. Wähle die richtige Kameraausrüstung
Im Allgemeinen nehme ich meine Kamera nicht überall mit hin. Ich muss mit der einzigen Absicht losziehen, Fotos zu machen. Zweifellos verpasse ich großartige Aufnahmen, wenn ich nicht immer eine Kamera bei mir habe. Aber da ich mit einer Mittelformat-Filmkamera, der Mamiya Leaf RZ 67, auf einem großen Stativ fotografiere, wäre es schwierig, sie überallhin mitzunehmen. Mein Objektiv der Wahl ist ein 127mm.
In letzter Zeit mache ich Bilder mit einer Fujifilm GFX 50S, die ich sehr schätze. Ich beschneide das Bild auf ein Seitenverhältnis von 6x7cm, und es fühlt sich an, als würde ich mit meiner alten, treuen Analogkamera fotografieren. Die Qualität der Fujifilm ist unglaublich, und ich liebe die Voreinstellungen für die Filmsimulationen.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
10. Merke dir die Orte
Unterwegs zu sein ist nie Zeitverschwendung, auch wenn ich kein Porträt bekomme. Oft fallen mir Wände oder interessante Hintergründe auf.
Wenn ich das nächste Mal unterwegs bin und jemand einem Porträt zustimmt, habe ich mit großer Wahrscheinlichkeit schon einen passenden Hintergrund im Kopf – und bin nur ein paar Schritte davon entfernt.
11. Nutze Tageslicht und Schatten
Ich fotografiere immer mit Tageslicht, wenn ich auf der Straße fotografiere. Wenn ich das Licht nicht kontrollieren kann, kontrolliere ich die Position und die Haltung des Motivs in Bezug auf das Licht, um das Beste aus dem herauszuholen, was die Natur zu bieten hat.
Im Allgemeinen fotografiere ich im Schatten, damit die Porträts einheitlich aussehen.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
12. Verlasse deine Komfortzone
Die besten Dinge im Leben liegen außerhalb der eigenen Komfortzone. Ich glaube wirklich daran und habe die Ergebnisse gesehen, wenn ich nur ein kleines bisschen weiter gehe.
13. Feiere deine Erfolge
Obwohl ich das schon seit Jahren mache, habe ich an manchen Tagen das Gefühl, dass ich wieder von vorne anfangen und mein Selbstvertrauen wieder aufbauen muss. Es ist daher wichtig, dass ich mir Zeit nehme, um die Bilder zu feiern, auf die ich stolz bin.
14. Ziehe regelmäßig los
Um Bilder zu machen, auf die du stolz sein kannst, musst du rausgehen. Straßenporträts machen sich nicht von selbst. Deshalb ist es wichtig, sich regelmäßig Zeit zu nehmen, um Fotos zu machen.
Lass dein Handy am besten zu Hause oder tief in deiner Tasche versunken. Es unterbricht nur zu leicht deine Konzentration, die sollte ganz auf der Fotografie liegen.

Mamiya RZ67 | Mamiya Sekor 127mm f/3.5
15. Nimm an Wettbewerben teil
Wettbewerbe helfen dir dabei, deine Fähigkeiten zu verbessern. Es gibt allerdings keine Formel dafür, was ein siegreiches Bild ausmacht.
Ich mag Bilder, die gut beleuchtet und scharf sind und eine starke Komposition aufweisen. Aber all das verblasst zur Bedeutungslosigkeit, wenn es darum geht, eine emotionale Verbindung herzustellen. Ich meine nicht, dass ein Bild unbedingt traurig sein oder zum Weinen bringen muss, aber es sollte eine Art von Gefühl hervorrufen.

Frage bei Familie, Freund:innen und Menschen aus der Branche nach, welche Porträts sie ansprechen und warum, bevor du sie einreichst. Berücksichtige deren Feedback, aber höre auch auf dein Bauchgefühl.
Versuche nicht zu kopieren, was in den vergangenen Jahren bei einem Wettbewerb gewonnen hat, denn die Jury wird sich mehr für etwas begeistern, das sie noch nie gesehen hat.
Auf der Suche nach weiteren Inhalten zur Streetfotografie?
Dieser Artikel ist Teil des MPB-Leitfadens zur Streetfotografie, unserem umfassenden Überblick über die Streetfotografie mit Kameraempfehlungen, Ratschlägen und Interviews mit Expert:innen.
MPB Leitfaden: Streetfotografie
Unser umfassender Leitfaden für Streetfotografie enthält essentielle Ratschläge und praktische Tipps für deine Streetfotos.
Die 5 besten Kameras für Streetfotografie
Wirf einen Blick auf unsere fünf besten Kameras für Streetfotografie inklusive technischer Daten, Vorteilen und Nachteilen jeder Option.
MPB trifft: Streetfotograf Denis Cherim
Lies unser Interview mit Denis Cherim, dem Gewinner der Street Photography Awards 2020.